Other formats

    Adobe Portable Document Format file (facsimile images)   TEI XML file   ePub eBook file  

Connect

    mail icontwitter iconBlogspot iconrss icon

The Pamphlet Collection of Sir Robert Stout: Volume 58

Welche Lehrgegenftände hat ein erziehlicher handfertigkeits-Anterricht zu umfaffen?

Welche Lehrgegenftände hat ein erziehlicher handfertigkeits-Anterricht zu umfaffen?

Lehrer Gärtig-Pofen:

hochgeehrte Anwefende!

Nur wenige Monate fehlen noch und das erfte Decennium der deutfchen Beftrebungen für den knaben-handarbeits-Unterricht liegt hinter uns Zehn Iahre!—eine Fülle von Zeit in unferer fchaffensfchnellen Gegenwart. Was haben wir in ihr erreicht?—Wohl können wir mit Genugthuung conftatiren, daß die Idee der Sache in die weiteften kreife getragen wurde, aber bezüglich ihrer Realifirung fieht es bei uns in Deutfchland doch noch nicht allzu erfreulich aus. Abgefehen von dem königreich Sachfen, das, wie der herr Borredner nachgewiefen hat, in der Geftaltung der von aus vertretenen Reformidee page 47 unzweifelhaft erkennbare, ja erhebliche Fortfchritte gemacht hat, ift im übrigen Deutfchland in der praktifchen Inangriffnahme der Sache doch eine gewiffe Stagnation eingetreten,—und was das theoretifche Arbeitsfeld anbelangt, fo find die auf diefem Gebiet unternommenen Arbeiten wohl höchft fchäßenswerth, aber genauer betrachtet doch nicht pofitiv genug, da fie immer nur auf den Erfahrungen und Calculationen Einzelner bafiren. Forderungen aber welche die Organifation einer allgemeinen erzieherifchen Maßnahme bezwecken, können—falls fie Anfpruch auf Pofitivität machen wollen—keineswegs nur als Refultat des Nachdenkens oder des praktifchen Befuchs Einzelner erfcheinen, fondern fie müffen Product einer ganzen kategorie von Einzelnen fein, fie müffen als das Product des Gefammtageifte, der in der Bewegung zu Tage tritt, der Oeffentlichkeit vor Augen Kommen.

Beide Erfcheinungen nun, fowohl die Stagnation auf praktifchem als die Zerfplitterung auf theoretifchem Gebiet, ftehen in innigem Zufammenhang. Wohl können für die erftere Gründe verfchiedener Art vorgeführt werden mangelnde Mittel, mangelndes Berftändnis, Furcht vor Neuerungen, Gleichgiltigkeit, principielle Generfchaft u. f. f.—doch es wird nicht zu leugnen fein, daß grade die theoretifche Bielfeitigkeit in den handfertigkeits-Beftrebungen nachtheilig auf die Beurtheilung und praktifche Geftaltung der ganzen Sache eingewirkt hat, infofern als fie der generifchen kritik willkommene handhaben bot und verfchiedene kreife zurückfchreckte fich mit praktifchen Berfucheu zn befaffen.

Es muß demnach im Intereffe unferer Beftrebungen liegen, wenn die gerügte Zerfplitterung befeitigt, wenn eine einheitliche Theorie gefchaffen wird, die als Product der ganzen Bewegung erfcheint. Das kann aber nur dann der Fall fein, wenn der Repräfentant der Bewegung, alfo der Congreß für handfertigkeits-Unterricht beftimmte Stellung zu den in Frage kommenden Puncten einnimmt. Unfere heutigen Bemühungen laufen nun darauf hinaus, eine derartige Stellungnahme den wichtigften Fragen der inneren Organifation gegenüber, wie Art und Zahl der Lehrgegenftände, pädagogifch oder nur technifch gebildete Lehrer u. f. f.—herbeizuführen oder definitiv anzubahnen.

Die erftgenannte Frage nun, die dahin präcifirt worden ift: welche Lehrgegenftände hat ein erziehlicher hand- page 48 fertigkeits-Unterricht zu umfaffen? hat eine zweite nicht minder wichtige Frage, nemlich die des Princips, nach welchem der Arbeitsunterricht einzurichten ift, zur Borausfeßung. Bon der Eigenartigkeit des Princips hängt auch die Eigenartigkeit des Unterrichts und feiner Mittel ab. Wohl befaßt fich unfere Frage nur mit dem „erziehlichen“ handfertigkeits-Unterricht, es erfcheint alfo das Princip felbft bereits als feftgefeßt, als unfraglich, aber wir miffen es alle, das Wort „erziehlich“ ift ein fehr dehnbarer Begriff. Betrachten wir die Motive jeder einzelnen handfertigkeits-Richtung, fo finden wir, daß das Intereffe der Erziehung für gewöhnlich im Bordergrunde fteht und allermeift betont wird. Wollen wir uns alfo jeder Subjectivität begeben, fo müffen wir die enzelnen zu Tage getretenen Richtungen, deren Ziele und Mittel vorführen, fie auf ihren erziehlichen Werth hin prüfen und fchließlich das naturgemäße Facit ziehen.

Sämmtliche Richtungen des knaben-handarbeits-Unterrichts laffen fich bekanntlich in zwei Gruppen zufammenfaffen: die volkswirthfchaftliche und die hausinduftrielle, welche entweder dahin trachtet, in Gegenden, die von der Mutter Natur nur spärlich bedacht worden find, gewiunbringende hausinduftrieen ins Leben zu rufen,—oder die dahin zielt, bereitsbeftehende hausinduftrieen, fei es in technifcher oder kunftinduftrieller Beziehung empor zu heben,—oder die dahin ftrebt, an Stelle der durch die immer mehr fich ausbreitende Benußung der Mafchine in zahlreichen Induftriegegenden zum Abfterben gerauchten hausinduftrieen andere Arbeitsarten zu feßen,—kann als ausfchließlich ökonomifche Richtung von Seiten eines erziehlichen handfertigkeits-Unterricht nicht beachtet werden. Die Bolksfchule ift vor allem eine allgemeine Bildungsanftalt und ift ihrer Organifation nach nicht geeignet die Löfung von derartigen Specialaufgaben zu übernehmen; ihre Arbeitszeit und insbefondere ihre Arbeitskräfte reichen dazu nicht aus.

Etwas anderes ift es jedoch mit derjenigen Richtung, deren Bedeutung neben ihrem volkswirthfchaftlichen insbefondere auch in ihrem volkspädagogifchen Endzweck liegt;—ich meine die häusliche handarbeit, welche nicht für den Berkauf berechnet ift, fondern für den eigenen Gebrauch, den hausfleiß im allgemeinen.

page 49

Das Beftreben, die Moralität unferes Bolkes zu heben, indem es befähigt werden foll feine müßigen Stunden durch intereffante und mutzbringende Handarbeit ausfüllen ze Können, damit fo die Langeweile, diefe Mutter aller Lafter, aus der welt gebannt werde, und das im befonderen auch darauf hin gerichtet ift, in gewiffen Kreifen unferer Bedölkerung den Arbeitsgeift zu wecken, die Arbeitsfähigkeit zu bilden und die Ehre der arbeit zum unumftößlichen Dogma zu machen—das Beftreben kann als folches nur unferen bollften Shmpathieen begegnen. Wenn jedoch, wie es in der Ratur diefer Richtung liegt, das materielle Intereffe ftets das ausfchlaggebende Agens ift, wenn das Hauptaugenmerk fich auf die Aneignung recht dieler mechanifcher Fertigkeiten richtet, ohne zu unterfuchen, ob denn nicht durch diefes Bielerlei der Oberflächlichkeit und Bfufcherei Borfchub geleiftet werde,—dann müffen wir auch diefer Richtung die Berechtigung abfprechen, als Unterrichts-princip der Schule gelten zu können. Wir thun dies um fo nachdrucksdoller, als die in jener Hinficht berits gemachten Erfahrungen uns lehren: der Handfertigkeits-Unterricht kann fich nicht mit der Fertigung aller möglichen, in Rückficht auf Material und Technik höchft mannigfaltigen Gegenftände des häuslichen Gebrauchs und Schmucks befaffen, kann unmöglich alle diejenigen Gewerbearten welche mehroder weniger unmittelbar im Dienfte des häuslichen Lebens ftehen, zu Gegenftänden feiner arbeit machen. Das bon uns hoch gehaltene ideale Moment des hausfleißprincips darf felbftberftändlich auch in einem überwiegend formalen Handfertigkeits-Unterricht nicht ganz bernach-läffigt werden, bielmehr wird diefer Unterricht der Forderung nicht entgehen können, insbefondere im Intereffe der Land-fchulen auch folche arbeitsgegenftände zu beachten, welcheneben ihren allgemein erziehlichen Bortheilen geeignet find dem fpäteren hausileiß grundlegende Fertigkeiten zuzuführen.

Faft ebenfo berhält es fich mit der im Kriefe unferes Bemühens fich geltend machenden gewerblichen Richtung, deren Bertreter dem knaben, der fpäter im Gewerbe, in der Technik oder kunft fein brot fuchen muß, fo frühzeitig als möglich die Fertigkeiten eigen zu machen wünfchen, welche er fpäter in feinem Lebensberuf braucht, und die ferner die wahl des künftigen Berufs nicht wie bisher dem Zufall überlaffen, fondern die dem knaben fchon in der Schulzeit Gelegenheit page 50 geben wollen, die berfchiedenften Gewerbarten aus eigener Erfahrung praktifch kennen zu lernen. Diefe Gedanken find ja an und für fich nicht zurückzuweifen, widerftreiten aber den realen Berhältniffen des Lebens und rufen auch manningfache Bedenken des Bädagogen wach. Bor allen würde eine derartige Organifation des Handfertigkeits-Unterrichts große pecuniäre Opfer erfordern, da fchon in den gewerbereichen Mitterftädten faft jedes gewerbliche lach berückfichtigt werden müßte; zum andern können wir uns auch darum für diefe Richtung nicht begeiftern, weil, wie ihre Bertreter ausführen, eine folche gewerbliche Borbildung principiell nichts mit humanitären hdeen gemein haben darft, die Sinne zu fchärfen, die aufmerkfamkeit zu fteigern, den Menfchen als menfch reifer und felbftändiger zu machen,—fondern daß diefem unterricht nur das eine pofitibe Ziel bar Augen ftehen foll, das betreffende Gewerbe als folches zu heben und jene ganz pofitiben Gefchicklichkeiten zu erzielen, die für das Gewerbe unerläßlich nöthig find.

Wir glauben keinesweg, daß das folide Handwerk etwa ein überwundener Standpunct ift, wie Biele meinen, fondern auch wir erkennen, daß es feiner inneren Berbollkommnung zuftrebt, und daß demgemäß jeder Handwerker, fürderhin fich geiftig immer reger tummeln und feine hand immer mehr zu jenen arbeiten gefchickt machen muß, welche bon der roben mechanifchen kraft der Mafchine unabhängig find, nemlich der kunftgewerblichen;—aber die fpecillen Borbedin-gungen hierzu können nur durch befondere Fachfchulen gefchaffen werden. Der Bolksfchule darf nur die allgemeinere aufgabe zuffallen, denkende und zum rafchen Erlernen der Gremente eines Handwerks befähigte werkleute borzubilden, zu erziehen. Diefer aufgabe genügt fie, wenn fie neben die fittlich-religiöfe und intellectuelle Bildung auch die Bildung des praktifchen Berftandes, dis fhftematifche Uebung der hand, des Formenfinnes und Gefchmacks in Geftalt eines in erfter finie pädagogifchen Handfertigkeits-Unterricht fetzt. Die fichere hand, die gewonnene allgemeine Fertigkeit, der entwickelte praktifche Berftand find dann für jeden knaben ein capital, das er gut berwerthen kann, welchem gewerbe er fich auch immer zuwenden will. auch die bafis der für alle kunftgewerbe nöthigen Bildung wird in diefem falle gefchaffen werden, wenn der Handfertigkeits-Unterricht namentlich in den ftädtifchen Schulen, die ihre Böglinge ja borwiegend dem Handwerk und kunft- page 51 gewerbe zuführen, nicht nur intenfibe Uebungen des auges, fondern auch folche der Bhantafie in fich fchließt. Demgemäß werden wir bei der feftftzung unferes arbeitsplanes hierauf wefentliche Rückficht nehmen müffen.

The wir nun der bon uns bertretenen und bereits angedeutenten pädagogifchen Richtung des Handfertigkeits-Unterrichts näher treten, haben wir noch denjenigen Brincipien unfere aufmerkfamkeit zuzuwenden, welche bon anderer geite bezüglich eines fchulmäßigen Unterrichts in formenarbeiten aufgeftellt worden find.

Die weitgehendfte Richtung diefer Art ift unftreitig die der frübelianer. wenn diefelben nach frübel's Borgang den handarbeits-Unterricht als pädagogifchen stammunterricht betrachten, indem fie darauf fußen, daß der Menfch nur das bollkommen berfteche, was er darzuftellen imftande fei, daß alfo die arbeit die wurzel, der angelpunct aller fruchtbaren grkenntnis fei, und wenn fie demgemäß diefem centrum ihrer Schulthätigkeit alle anderen Befchäftigungen und Maßnahmen unterordnen, fo müffen wir dies unbedingt als extrem charakterifixen. wir ftimmen fröbel bollftändig bei, wenn er de grziehung die Bflicht zuweift, den Menfchen als fchaffendes Wefen zu beachten und zu behandeln und zum gelbftfchffen zu befähigen und auszubilden, aber daß darum an die Bflege des Befchäftigungstriebes fich alles anknüpfen, daß aus derfelben alles herborgehen folle, was zur wahrhaft menfchlichen gntwicklung des kindes, zu deffen allfeitig genügender Grziehung nothwendig ift, bermögen wir nicht einzufehen. Sine derartige Bedeutung kann die handarbeit nie exlangen: das Gthifche und Religiöfe muß ftets Mittelpunct einer jeden erzieherifchen Schulthätigkeit bleiben, die handarbeit wird nur ein den übrigen Grziehungsfactoren beigeordnetes mitter fein dürfen.

halten wir dies feft, dann erübright es fich, in eine kritik der arbeitsgegenftände diefer richtung einzutreten, wie fie alfo auf der Bafis der frübel'fchen kindergartenarbeiten bon geidel und Schmidt in weimar, bon alois fellner in wein, fowie in ganz felbftändiger und höchft confequenter manier bon Dr. Georgens in Berlin theoretifch durchgebildet worden find.

Richt ganz fo geftaltet fich unfer Urtheil bezüglich derjenigen pädagogifchen Richtung, welche im Gegenfaß zu den page 52 Zröbelianern die handarbeit ausfchließlich als dienerin des theoretichen Schulunterrichts betrachtet wiffen will, der fogenannten „Leipziger Richtung“, wie fie bon Dr. Götze bertreten, in den oberen glaffen der Realfchule zu leipzig, fowie in der barth'fchen grziehungsfchule durchgeführt, bon der dortigen Schülerwerkftatt aber aus äußeren gründen nur unbollkommen berückfichtigt worden ift. wir find keineswegs böllige gegner diefer richtung, denn auch wir erkennen, daß der arbeitsunterricht ein höchft intenfiber anfchauungsunterricht ift und daß einzelne der in der beichenftunde, in der geographifchen, mathematifchen, plhfikalifchen und naturgefchichtlichen fehrftunde befprocheneu gtoffe bon der praktifchen geite her gegenftände des arbeitsunterrichts werden können. wenn jedoch berfchiedene bertreter diefer richtung in rückficht auf die borgenannten Erfcheinungen die fertigung bon Gegenftänden des praktifchen Lebens berbannen, wenn fie ein bollftändiges anfgehen der handarbeit in den einzelnen hehrfächern befürworten, ihr fomit keine felbftändige stellung als unterrichts-gegenftand einträumen wollen, fo erklären wir uns gegen fie.

Wir meinen, auch die handarbeit ift in dem falle, wo fie fich mit Objecten befaßt, wie fie den kindern tagtäglich in der Braris des Bebens bor augen treten und durch die hände gehen, dem Edeenkreife der Schüler angepaßt, kann auch in diefem falle die theoretifchen kenntniffe der kinder erweitern und befeftigen infofern, als fie eine aielfeitige Befprechung und Demonftration inbezug auf Stoff, Werkzeug, form, art der Ehätigkeit mit hilfe des Borund Rachzeichnens, der Mathematik, auf welche fie bafirt werden muß, geftattet. Die Befürchtung, daß bei anfertigung bon Gegenftänden des täglichen Gebrauches dem Handwerk eine unwillkommene Concurrenz ermüchfe, hat fich bezüglich des formalen Handfertigkeits-Unterrichts als illuforifch erwiefen. Wir behaupten alfo: die Anlehnung des Handfertigkeits-Unterrichts an Rützlichkeits gegenftände des wirthfchaftlichen Lebens, fowie eine felbftändige Stellung der exfteren als befonderer Unterrichtszwieig ift eine unbedingte Rothwendigkeit, felbft dann, ja dann exft recht, wenn jenes Brincip des Anwendungs-Unterrichts allgemeine Annahme fände.

Die innere Berechtigung zu diefer Behauptung exgiebt fich zunächft aus dem Berhältnis, welches der Beichenund Schreib- page 53 unterricht zu den übrigen Schuldisciplinen einnimmt. Beide ftehen im Dienfte der theoretifchen Unterrichts gegenftände ganz ebenfo wie dies bon der handarbeit berlangt wird; trotzdem geht keiner bon beiden in denfelben ouf. Es denkt auch Riemand daran, eine derartige forderung zu ftellen,—bielmehr wird eine eigene methodifche Durchbildung jener Fertigkeiten in der Form befonderer Unterrichtsgegenftände als pädagogifch unerläßlich erachtet. En Ziel höherem Grade tritt nun dies Grfordernis bei den unbedingt fchwierigeren Formenarbeiten ein. Rur an eine fhftematifch entwickelte handgefchicklichkeit wird das Anfinnen geftellt werden dürfen, der Theorie dienftbar zu fein. Eine fhftematifche Durchbildung berlangt aber in exfter Linie die ftricte Beachtung methodifcher Grundfäße, und man wird mit Rückficht hierauf unmöglich den theoretifchen Unterricht den diesbezüglichen forderungen des Arbeitsunterrichts anbequemen wollen. Ueberdies ift das Benfum der Bolksfchule in den einzelnen in Frage kommenden Gegenftänden fo bielfeitig und reichhaltig, daß wenn man ohne Gprünge Sinfeitig-keiten und Beitberluft bermeiden will, man unmöglich den handfertigkeits-Unterricht an daffelbe anlehnen Könnte.

Bollftändig entgegengefeßt geftaltet fich unfer Urtheil hinfichtlich einer beabfichtigten Durchführung jenes Gedankens in den oberen Claffen der mittleren und insbefondere der höheren Lehranftalten. Es unterliegt keinem Bweifl, daß hier eine wiffenfchaftliche Ausnützung der handarbeit am Blatze und nach Abfolbirung der Benfen eines borangegangenen befonderen Handfertigkeits-Unterrichts auch leicht durchzuführen ift.

Die Bolksfchulen, fowie die unteren und mittleren Glaffen der höheren Behranftalten werden—wie fchon bemerkt wurde—den theoretifchen Unterricht unter Anlehnung an einen befonderen Werkftatts-Unterricht gewiß gefchhen ift; bor allem aber müffen fie die Arbeit als erziehendes Clement in den kreis ihrer pädagogifchen Mittel aufnehmen und müffen bei der Feftftzung ihrer Arbeitsgegenftände unter allen Umftänden derein formalen Bildungswerth als ausfchlaggebenden Factor fefthalten.

In welchem Sinne wir die erziehliche Wirkung des Arbeits-Unterrichts auffaffen, ift bereits bon Herrn Lammers in zutreffendfter Weife gezeigt worden; ich bemerke nur: als Biele page 54 fchweben uns bor die Grziehung der hand im Dienfte der Zechnik, die Entrwicklung des Formenfinnes und Gefchmacks, des Ginnes für Ordnung und Gauberkeit, die Bildung des praktifchen Berftandes, oder um mit Dr. Gelbe zu reden, "die Bildung der praktifchen Intelligenz, d. h. der Fähigkeit fich in praktifche Berhältniffe hineinzudenken, fie und ihre Conftructionen zu Berftehen." Alles Jedoch Untergeordnet Unter den Ethifchen Gefichtspunct der Grziehung der Arbeit.

Bebor wir nun eine Brüfung der einzelnen Arbeitsgegen-ftände bezüglich ihres formalen Werthes, ihrer Bildungskräfte bornehmen, ift es nothwendig auf einige Differenzen allgemeinerer Ratur innerhalb unferer Richtung hinzuweifn, zumal fie einen wefentlich mitbeftimmenden Ginfluß auf die Art und Bahl der Unterrichtsgegenftände ausüben. Hierher gehört zunächft die Frage: welchen Altersftufen foll der Handfertigkeits-Unterricht dargeboten werden?—Die Ginen, wie u. A. mein berehrter Behrer, Geminardirector Otto Salomon in Rääs, meinen, daß nur diejenigen Knaben, welche kurz bor dem Gintritt ins praktifche Beben ftehen, während der beiden letzten Fahre ihrer Schulzeit—alfo bom 12. Lebensjahre an—mit Formenarbeiten befchäftigt zu werden brauchen. Andere hinwiederum fordern, daß der Arbeitsunterricht fich bereits im. erften Schuljahre an die Kinder zu wenden habe. Wir müffen zugeftehen, daß bei der gegenwärtigen Bage des hand fertigkeits-Unterricht, Wo Derfelbe Faft durchweg nur auf freie Curfe befchränkt bleibt, die mit der Schule kaum in lofer Berbindung ftehen, einmal ein naturgemäßer Aufbau des ganzen Arbeitsfhftems bon unten auf nur fchwer durchführbar ift, und zum andern die Heranziehung der älteren Schüler fchon darum als zunächft empfehlenswerth erfcheint, um fo wenigfteas das Endziel der Beftrebung, die Endrefulate dereflben dem großen Bublicum annähernd zeigen zu können. Irotzalledem dürfen wir aber nie den idealen Bau des Hand fertigkeits-Unterricht aus den Augen berlieren, fondern müffen ftets betonen: ein exziehlicher Arbeitsunterricht will fich an alle Kinder wenden (Ruf: fehr richtig!) Ohne Unterfchied des Alters, und, möchte ich auch fagen, ohne Unterfchied des Gefchlechts. Ich wenigftens glaube, das es unferem weiblichen Handarbeits-Unterricht nur zum Gegen gereichen würde, wenn ex einen Theil der Brincipien unferer formalen Richtung in fich aufnähme und berwirklichte.—Wir page 55 fchließen us alfo bezüglich der Ausdehnung des Handfertigkeits-Unterrichts auf die einzelnen Altersftufen den Forderungen an, welche feit Beginn unferer Reformbewegung bon Grasmus Schwab in Wien, Professor Biedermann und Dr. Barth in Leipzig, bon Brofeffox Galicis in Baris u. A. arhoben und begründet worden find. Da durch den Handfertigkeits-Unterricht fchon bon früher Lugend an dem angeborenen Schaffenstriebe unferer kinder Genüge geleiftet werden foll, fo werden wir uns auch nicht wie Director Salomon mit einer Arbeitsart begnügen dürfen. Der bon demfelben im bergangenen Lahre in Osnabrück in überzeugendfter Weife empfohlene Holzflöid ift beifpielsweife für Knaben unter elf Sahren im allgemeinen zu fchwer und außerdem für die unter neun Lahren zu ernft.

Auch keine andere Befchäftigungsweife zeigt eine fo bierfeitige Geftaltung, daß fie der phnfifchen und intellectuellen Entwicklung der 6-oder 7jährigen, wie der 12-und 13jähreigen Knaben entfpricht; folglich wird nur eine Reihe bon Hehrgegenftänden die progreffib anwachfenden Formenarbeiten enthalten, die für einen methodifchen Betrieb des Handfertigkeits-Unterrichts unerläßliche Bedingung find.

Sin zweiter hierher gehöriger Differenzpunct betrifft die Frage, ob ein Handfertigkeits fchüler gleichzeitig in berfchiedenen Arbeitsarten unterwiefenwerden darf. Diefe Frage beantwortet fich infofern bon felbft, als Borausfetzungen welche wir an erziehlich wirkende Unterrichts-gegenftände zu ftllen haben, für jede Grziehungsftufe gleichartig fein müffen. Sine folche Gleichartigkeit findet fich aber, wie wir fehen werden—abgefehen bon den Arbeiten des Kindergartens und der Glementarftufe—nicht. La felbft wenn fie borhanden wäre, würden wir uns gegen jene Maßnahme entfchieden wenden; denn fchon mit Ruckficht auf eine möglichft intenfibe Uebung in jeder Art der ernfteren Formenorbeit erfcheint es als geboten, daß das Intereffe der Kinder nicht durch gleichzeitige Bflege berfchiedenartiger Handarbeiten zerfplittert, daß die der Schule und dem Schüler zur Berfügung ftehende Arbeitsgeit und Arbeitskraft nicht im Uebermaß angefpannt werde.—Aber Konnten nicht in letzterem Falle die fpeciellen Anlagen und Reigungen der Knaben Berückfichtigung finden? Es ift nicht zu leugnen, daß bei einzelnen Menfchen eine gewiffe Borliebe für diefe oder jene technifche page 56 Befchäftigung anzutreffen ift; aber diefe Erfcheinung fteht doch allermeift nur mit Bfälligkeiten in äußeren Berhältniffen in Berbindung, und Bufälligkeiten dürfen auf einen allgemein erziehlichen Unterricht keinerlei Cinfluß ausüben, foll dem Ganzen nicht der Stempl der "Biebhaberei" aufgedrückt werden. Sine gewiffe Berechtigung wäre der hieraus refultirenden "freien Wahl" der Arbeitsgegenftände nicht abzufprechen, wenn der wille, eine feftgefetzte Arbeit zu leiften, wohl borhanden wäre, das Bermögen für die Durchführung der Beiftung aber fehlte. Sin folcher Fall tritt nur ausnahmsweife bei Schülern ein, die entweder in ihrer körperlichen oder geiftigen Entwicklung zurückgeblieben oder die mit mancherlei Gebrechen behaftet find. Bei normal entwickelten knaben gleicher Entwickelungsftufe kann keiue Rede dabon fein. In formaler Begiehung ift es überdies ganz gleich, ob der Schüler aus Bappe oder Blech Figuren bildet und zufammenfetzt, ob er in diefent oder jenem Material fchneidet und fägt, dreht und bohrt. Aus allem refultirt demnach die Forderung, daß fämmtliche Knaben eine und biefelbe Bafis in der technifchen Ausbildung der Hand, in der Bildung ihrer praktifchen Intelligenz erhalten, daß alle in ein und denfelben Belchäftigungsweifen durchgebildet werden.

Stellen wir nun diefe Bafis feft!—Sie wird im allgemeinen in Unterrichtsgegenftänden beftehen muffen, welche in zmeckmäßiger Weife in das technifche Beben einführen und die dort nöthigen Kunftgriffe dem fteten Entwicklungsftande der Kinderwelt gemäß bis zu dem beftimmten Grade lehren, melcher den Bielen der ganzen Maßnahme entfpricht.

Ueberfchauen wir das Ganze der berfchiedenen technifchen Arbeiten in Rückficht daraut, welchen inneren Entwicklungsgang fie felbft im Laufe der Beiten genommen haben, fo laffen fich drei ganz natürliche Gruppen unterfcheiden.

Bur erften Gruppen gehüren die urfprünglichften und einfachften Arten technifcher Fertigkeiten: das bloße Zufammenfügen des Stoffes ohne Hilfe befonderer Werkzeuge, welche Befchäftigungen fich noch heute bei den auf den niederften Culturftufen ftehenden Menfchen borfinden. Wir rechnen hierher, abgefehen bon dem Flechten, das Bauen in feiner primitibften Form, das Zufammenlegen bon flächenartigen Körpern, Stäben, Ringen, das Berfchränken u. a. Alle diefe Ihätigkeiten Können dem borfchulpflichtigen Kindesalter im H aufe und im Kinder- page 57 garten überlaffen bleiben; entfpricht doch die Stufe der Kindheit des Einzelnen der Kindheitsftufe des ganzen Memfchen-gelchlechts.

Die zweite Gruppe umfaßt alle diejenigen Arbeiten, welche fich mit der Umwandlung der Formen und des Stoffes befaffen und wobei der Gebrauch zmeckmäig eingerichteter Werkzeuge und Geräthe, fowie theilweife auch die Ausnutzung bon Raturkräften Haupterfordernis ift. Sie repräfentirt die Arbeiten des gehobenen Culturzuftandes; es gehören ihr diejenigen Belchäftigungsarten an, aus denen wir die für einen Handfertigkeits-Unterricht der Schule geeigneten Formenarbeiten herauszulchälen haben.

Die britte Gruppe charakterifirt fich als die Blüthe der Cultur; fie ift die Bertreterin der Künftlerifchen Ihätigkeiten: Modelliren, Bildhauen in Folz und Stein, Malen u. f. F. Das Werkzeug ift unwefentlich, Genie ift die Fauptfache. Die Bflege diefer Ihätigkeiten überlaffen wir den Specialberanftaltungen des Bebens. Die allgemeine Bildungsanftalt des Bolkes, die Schule, bermag fich ihrer nicht anzunehmen. Genie ift eine Gabe Gottes, und kann weder dem Schüler anerzogen noch immer bei dem Lehrer borausgefetzt werden.

Brüfen wir nun die Arbeitsarten der für den Handfertigkeits-Unterricht allein bedeutungsbollen zweiten Gruppe, der gemerblichen Ihätigkeiten im engeren Ginne. Die Figenartig-Keiten derfelben find theils materieller, theils formeller Ratur. Uns intereffiren zunächft nur die letzteren. Beachten wir alle in diefe Gruppe fallenden Befchäftigungsweifen hinfichtilich ihrer allgemeinen Gigenfchaften und der einzelnen technifchen Grundformen, wie fie für einen formalen Handfertigkeits-Unterricht bon Bedeutung find, fo exkennen wir bier eigenartige Abtheilungen, die naturgemäß unter fich manningfache Combinationen zulaffen:

1. Die gefchmeidigen Stoffe, welche in der linienartigen Fadenund Bandform zur Herftellung bon Flächen und theilmeife fpäter bon körperlichen Gegenftänden dienen; alfo die Zechnik des Spinnens, des Webens, des Flechtens in Bapier, Spähnen, Ruthen, Rohr, Draht.

2. Die Stoffe in Flächenform, welche durch Brechen, Falten, Schneiden und Berb inden Körper oder Körperräumliche Darftellungen ergeben, die Arbeiten in Bapier, Bappe, Blech, Leder, Zuch u. f. f.

page 58

3. Die Stoffe in Körperform, melche entweder

a)gefchmeidig find und fich leicht kneten und formen laffen, fomie an der Luft oder im Feuer erhärtendie berfchiedenen Arbeiten in Zhon-, Borzellan-Erde u. f.f.; oder die
b)zwar fehr feft und zäh find, jedoch in ihrem natürlichen Buftande mit Hilfe fcharfer Handwerkzeuge mannigfach geformt merden können; hierher gehören die Arbeiten in Holz und Stein; oder die endlich
c)fo widerftandsfähig find, daß fie bor ihrer Umbildung erft durch das Feuer formfähig gemacht werden müffen, und die fich nur mit Berwendung befonderer Krafte bearbeiten laffen, wie die Glasund Metall-Arbeiten.

Bei allen borgenannten Gewerbearten wiegt das rein technifche Element bor, obmohl in gewiffem Sinne ftets auch irgend ein Kunftelement in Betracht kommt. Auf eine befondere Stufe ftellen wir darum

4. alle diejenigen gewerblichen Ihätigkeiten, bei denen in einem beftimmten technifch-Künftlerifchen Element der Schmerpunct liegt.

Die letzteren Arbeiten werden allgemein als "Kunftgewerbe" bezeichnet, da fie in der Mitte zwifchen Gewerbe und Kunft liegen. Wir nehmen die einfachften derfelben auf, weil fie der Bhantafie reiche Rahrung geben und wir fo den Uebergang bon den in exfter Binie gepflegten borwiegend technifchen zu den aus dem Kreis des Arbeits-Unterrichts gewiefenen rein Künftlerifchen Ihätigkeiten anbahnen.

Damit hätten wir die Grundlinien der gewerblichen Arbeit fkizzirt. Wollen wir den praktifchen Berftand der Knaben bilden, die Fähigkeiten in ihnen entwickeln, daß fie fich in die manningfachen praktifchen Berhältniffe des Lebens hineindenken, fie und ihre Conftructionen berftehen können, dann müffen auch diefe Grundelemente im Handfertigkeits-Unterricht bertreten fein. Demgemäß werden wir bier Stufen bon Unterrichtsgegenftänden zu unterfcheiden haben. Dieferben entfprechen in ihren bezeichnenden Merkmalen den wachfenden phafifchen und intellectuellen kräften der kinder, und wir behalten fie deshalb in der borgeführten Anordnung bei. Gelbftbertändlich ift hiermit nicht gefagt, daß in den einzelnen Stufen keine differirenden Schwierigkeiten borhanden find. Richt jede Ihätigkeit eignet fich für Kinder und nicht jede Gemberbeart als Gegenftand des page 59 Handfertigkeits-Unterrichts. Rur diejenigen Befchüftigungsweifen werden wir aus jeder Stufe in Anfpruch zu nehmen haben, welche den Forderungen, die man an einen erziehlichen Handarbeits-Unterricht der Schule zu ftellen berechtight ift, am bollkommenften genügen.

Diefe Forderungen ergeben fich aus dem Zweck des Unterrichts meift in fo felbftaerftändlicher Weife, daß wir fie nur einer flüchtigen Grürterung zu unterziehen brauchen. Wir präcifiren fie dahin:

Die Befchäftigungsweifen dürfen das Kind nicht einfeitig erfaffen, fondern fie follen Hand, Berftand und Gemüth des Kindes gleichmäßig in Anfpruch nehmen.

Im Intereffe der "Hand" müffen fie
1.den Kräften derfelben, bzw. den Kräften des ganzen kindlichen Körpers entfprechen, und
2.die Mehrzahl derjenigen manuellen Gefchicklichkeiten zur Uebung bringen, welche jeder Stufe der Formenarbeiten eigenthümlich find, damit fo als Endrefultat des Ganzen fich eine entwickelte "allgemeine Handfertigkeit" ergibt.
In Rückficht auf den "Berftand" ift es erforderlich,
3.daß die Arbeiten eine dem kindlichen Berftäandnis angepaßte mathematifche Grundlage erhalten können,
4.daß fie in conftructiber Beziehung fo bielfeitig als möglich find, und
5.daß fie das Intereffe der Kinder zu gewinnen bermögen, weshalb ihre Objecte
a)dem Ideenkreife des Kindes nahe liegen und
b)inbetreff der Anfertigung nur geringe Zeit erfordern müffen.

Im Hinblick auf die Inanfpruchnahme des "Gemüths", deffen Sache hier das Empfinden des Schünen ift, follen

6.ihre Broducte den Gefetzen der Schünheit bolles Genüge leiften, alfo
a)hinfichtlich der Form nur äfthetifche richtige,
b)hinfichtlich der Farbe nur harmonifche Zufammen-ftellungen geftatten,
c)für beide aber Genauigkeit in der Rachbildung zulaffen; und
7.müffen fie zur Sorgfamkeit, Ordnung Und Reinlichkeit Erziehen.
page 60

Letzterer Grundfatz wird meift fo berftanden, daß die Arbeiten in keinem Falle Gelegenheit zum Befchmutzen geben dürfen, aus welchem Grunde berfchiedene Bedenken gegen die Hantirungen mit Kleifter und Leim laut geworden find. Zch meine, wer fich Sorgfalt und Sauberkeit angewühnen foll, dem muß bor allem auch Gelegenheit geboten werden fich einmal zu belchmutzen, fonft bermag er eben nie feine Sorgfamkeit zu bethätigen und fie zu üben. Gelbftberftändlich halten wir diejenigen Belfchäftigungsweifen fern, durch welche der Sinn für Reinlichkeit an Hand und Gewand abgeftumpft wird.

Als erziehlicher Unterrichtsgegenftand der Schule muß weiterhin jede Darftellungsarbeit

8.fich in methodifcher Weife durchbilden und
9.fich auch möglichft in den Dienft der körperlichen Grziehung ftellen laffen. Letzteres tritt ein,
a)wenn die Arbeit eine allgemeine Kräftigung der Muskulatur u. f. f. bewirkt und
b)wenn fie dabei keine technifchen Manipulationen aufweift, die auf die Gefundheit nachtheilig einwirken.
Schließlich müffen die Arbeitsgegenftände
10.noch denjenigen Gefichtspuncten genügen, welche wir bezüglich der Fürderung des Hausfleißes und der Burbereitung auf das Gewerbeleben gefunden und feftgeftzt haben.

Runmehr find wir foweit angelangt, um in die fpecielle Ausmahl der Unterrichtsgegenftände einzutreten. Es wird mir mohl erlaffen bleiben, jede Gewerbeart auf jeden Gefichtspunct hin zu prüfen; das würde an diefer Stelle fchon wegen der kurz bemeffenen Zeit nicht angebracht fein. Ich werde mir deshalb erlauben, nur die Refultate einer derartigen Unterfuchung borzuführen und ebentuell einige derfelben kurz borzuführen und zu motibiren.

Die Zeit der erften Schuljahre, das fiebente, achte, neunte Bebensjahr, charakterifirt fich als die Zeit des Uebergangs bom freien ungebundenen Spier zur ernfteren Zhätigkeit. Dementfprechend werden auch die für diefe Altersftufe zu wählenden Belchäftigungen geartet fein müffen.

page 61

Die in formeller und materieller Beziehung einfachften Ihätigkeiten aus der Gruppe der Umwandlung linienartiger Stoffe bieten fich in

den Flechtarbeiten in Bapier und Spähnen, dem Berfchnüren und Strohknüpfen.

Die Flechtarbeiten in Bapier, fowie das Berfchnüren eignen fich mehr für ftädtifche, das flechten in Spähnen u. f. f. und das Strohknüpfen, wie es Dr. Fölfing für die Klein-Kinderfchulen durchgebildet hat, für ländliche Berhältniffe. Es find dies alles borzügliche Uebungen, um die Iechnik des Webens und Flechtens fpieland zum praktifchen Berftändnis zu bringen. Weitere Befchäftigungsmitter für diefe Stufe find elementare Borübungen aus der zweiten Gruppe der gewerblichen Arbeiten, nemlich

das Bapierfalten in Berbindung mit dem geometrifchen Ausfchneiden und dem Aufkleben.

Bei der Eigenartigkeit aller diefer Ihätigkeiten, die fämmtlich dem Kindergarten entlehnt find, wo fie faft durchweg als zu fchwierig befunden werden, empfiehlt es fich die einzelnen Arten derfelben nicht nacheinander fondern nenbeneinander—freilich mit Berückfichtigung des Grundfatzes "bom Leichten zum Schweren"—zu betreiben, damit fo dem Bedürfnis der Kindesnatur nach Abmechfelung genügt werde.

Bemerken will ich noch, daß fich die eigentlichen Gewerbearten der erften Stufe, das Spinnen und Weben, für keine Grziehungsftufe als geeignete Unterrichtsgegenftände hinftellen laffen. Die Drahtarbeiten, die im Sinne der Barth-Gütze'fchen Richtung unentbehrlich find, überlaffen wir den oberen Glaffen höherer Schulen,—das Korbflechten, eine nothwendige Hausfleißarbeit, gleich allen übrigen fpecielleren Hausfleißarbeiten der ländrichen Fortbildungsfchule.

Grft bom Zehnten Lebensjahre ab beginnen die Handfertigkeitsarbeiten ernfterer Ratur, da bis dahin kein Berftändnis und die erforderliche kraft für fie borhanden find. Znfolgedeffen müffen dem Unterricht nun ganz pofitibe Fertigkeiten bor Augen fchweben, und darf fich derfelbe darum nur auf die technifche Durchbildung einzelner Gewerbearten befchränken.

Der Mittelftufe unferer Bolksfchulen, dem 10. und 11. Lebensjahre, Weifen wir die Umwandlung bon flächenartigen Stoffen zu Körpern und körperähnlichen Gebilden zu. Aus page 62 den hierher gehörigen gewerblichen Ihätigkeiten entfpricht weder die Arbeit in Leder oder Zuch noch die in Metalloder Holz-Zafeln den geftellten Anforderungen in ausreichender Weife, weshalb wir fie berwerfen. Schuhmacherei und Schneiderei werden nur in folchen Anftalten gepflegt, die im Intereffe der eigenen Hausinduftrie dazu gezwungen find, alfo in Blindenanftalten, Befferungsanftalten u. f. f., und die Arbeiten aus dem Gebiet der Klempnerei nur da wo man fie wegen ihrer Bedeutung für die Anfertigung einzelner Objecte aus dem theoretifchen Unterricht nicht entbehren will. Bezüglich der letzteren bemerken mir, daß wir fie gleich den Drahtarbeiten insbefondere aus dem Grunde bon dem Handfertigkeits-Unterricht der Bolksfchule fern halten, weil fowohl das beim Löthen erforderliche Löthfalz (Zink in Salzfäure aufgelöft) oder Löthwaffer (eine Berbindung bon Ghlorzink und Salmaiak), als namentlich auch das Hantieren mit dem glühenden Löthkolben nicht ungefährlich ift. Die geringfte Unborfichtigkeit kann hier Folgen fchaffen, welche den gefammten Handfertigkeits-Unterricht in Mißcredit bringen. Wenn 15-bis 20jährige Jünglinege, Zöglinge der oberen Claffen in höheren Lehranftalten, derartige Arbeiten bereinzelt, außerhalb eines fhftematifchen Handfertigkeits-Unterrichts nach gegebener Anleitung bornehmen, fo haben wir weniger Beranlaffung Bedenken gegen fie borzuführen.

Was die Laubfägerei anbelangt, die gleichfalls hier zu betrachten ift, fo war diefelbe einft zwar ein fehr beliebtes Befchäftigungsmittel, jedoch nur folcher Knaben welche keine andere Gelegenheit hatten ihren Schaffensdrang zu befriedigen. Da diefe Arbeiten auch jetzt noch in einzelnen Handfertigkeitsfchulen g epflegt werden, fo müffen wir etwas eingehender nachweifen, weshalb wir fie für ungeeignet crachten, als befonderer Handfertigkeits-Gegenftand gelten zu können. Zunächft find fie, unferer Anficht nach, gefundheitsfchädlich. Die durch das Sägen bedingte bordere gitzlage führt eine Breffung der Unterleibsorgane und eine Lemmung der Refpiration herbei, welche fchon bei einhalbftündiger Dauer nur ftörend auf den ganzen Organismus einwirken müffen; auch wird den Lungen beim Athmen ftets eine Menge feinften Sägeftaubes zugeführt, und wird das Auge Während des genauen Beobachtens der fein borgezeichneten Sägebahn zu fehr angeftrengt. Weiterhin laffen fich die Arbeiten nur in Ginzelfällen auf page 63 mathematiche Grundlage bafiren, ftehen alfo zu wenig im Dienfte der Berftandesbildung; endlich find ihre Manipulationen ganz einfeitig und mechanifch und ihre Broducte bon wenig Werth und kurzer Dauer. — Nur Sine Arbeitsweife ift es, die aus der in Rede ftehenden Gruppe der Umbildung flächenartiger Stoffe empfohlen und zugleich auch auf der Mitterftufe unferer Bolksfchule mit gutem Erfolge betrieben werden kann, das find