Other formats

    Adobe Portable Document Format file (facsimile images)   TEI XML file   ePub eBook file  

Connect

    mail icontwitter iconBlogspot iconrss icon

The Pamphlet Collection of Sir Robert Stout: Volume 58

Bedeutung und Ziefe des handfertigkeits-Auterrichts

Bedeutung und Ziefe des handfertigkeits-Auterrichts.

A. lammers (Bremen):

Die Ausbildung von fchulbefuchenden knaben in handwerts-Arbeit, ein Gegenftück zu den weiblichen handarbeiten der Mädchen, ift aufgenommen worden als ein durchgreifendes reformatorifches Princip. Sie feßt den Gedanken fort, welchen Friedrich Fröbel für ein früheres Alter und für beide Gefchlechter in feinem kindergarten verwirklicht hat; fie liegt in derfelben Richtung wie Anfchaulichkeit des Unterrichts und Turnen. Aber wie anwendbar immer auf Göhne aller Stände und folglich auf die ingend der verfchiedenften Lehranftalten, wird fie doch nicht gefordert als ein Theil des Zwangs-Unterrichts, der aus dem in Deufchland beftehenden Schulzwang und mittelbar aus den Bedingungen erleichterter Wehrpflicht in Deutfchland hervorgewachfen ift. Das mag ein kleines Land mit einfachen gleichartigen Berhältniffen wie Finnland thun, oder ein Land das wie Frankreich den Schulzwang neu verwirklicht. In unferen längft ausgebildeten Unterrichtsver-hältniffen, die der Ueberbürdung der Schüler und zum Theil felbft der Lehrer ohnehin fchon verdächtig find, wäre nichts ausfichtslofer als der Berfuch, auf einmal von oben herunter einen neuen Lern-und Arbeits-Zweig in das dichte Geflecht hineinzuzwängen. Wir find auf diejenigen Lehrer und Schüler angewiefen, welche uns, von der nüßlichkeit der Gache über zeugt, freiwillig kommen. Wir bauen neben dem Palaft der Staats-und Gemeinde-Schule eine leichte Baracke auf, damit in ihr hand und Auge übe, wem die kopfarbeit der Schule entweder nicht genügt oder fchon zuviel geworden ift.

In diefem Gaße glaube ich Bedeutung und Zweck des handfertigkeits-Unterrichts auf ihren kürzeften Ausdruck zurückführen zu können. Er foll die hand kunftfertig machen, und damit durch Bermittelung des auges auch den inneren Ginn des knaben für Auffaffungen und Würdigungen reifen, welche ihm in einer allzu abftracten Bildung, in einem einfeitig und ausfchließlich nach innen gerichteten Geiftesleben abhandenkommen oder gar nicht eutftehen, und welche doch auch wichtig find für die mannigfaltigen Aufgaben des Lebens neben Lefen, page 15 Schreiben und Rechnen, neben Sprachkenntnis, Gefchäftskunde und naturwiffenfchaften. Etwas fteckt im handwerk, das ieder brauchen kann. Dem handwark im allgemeinen dies zu entlehnen und erziehungskräftig zu geftalten ift unfer gemeinfamer Zweck, den der Eine unmittelbar praktifch, der Andere durch gefchultes nachdenken, der Dritte durch jene Bewegund der Geifter, welche Agitation genannt wird, zu erreichen ftrebt.

Golange die Bedürfniffe des Unterrichts und die Befchäftigungen des späteren Lebens nicht in dem maße wie heute auf das Unfichtbare und Ungreifbare gingen, erhielten Auge und hand das maß von Bildung, welches zu harmonifcher Entwicklung des ganzen Menfchen gehört, gewiffermaßen von felbft. Der knabe ergänzte unbeweßt aus eigenem Triebe, was die Schule ihm noch nicht nothwendig zu bieten brauchte. Er hatte Zeit fich im Freien oder auf den ftädtifchen Straßen herumzutummeln, in der Werkftatt oder auf dem ländlichen hofe fich fpielend hundert kleine Einfichten und Fertigkeiten anzueignen, die dem Manne als Waffen in dem kampfe um die Eriftenz zu ftatten kamen. In dem Maße wie die Ansprüche des Lernens dies dann verkümmerten, mußte von außen und oben her für die Allfeitigkeit des werdenden Menfchen geforgt werden. Die wiffenfchaftliche Pädagogik hat dies auch früh genug begriffen. Bon Amos Comenius an oder noch früher führt ihre Gefchichte eine Reihe theils hervorragender, theils halbvergeffener namen an, welche hinweifen auf das was wir heute als handfertigkeits-Unterricht bezeichnen. Sie drangen freilich nicht durch. Das kryftallifirte spröde Gefüge des in syfteme gebrachten Zwangsunterrichts der knaben öffnete fich der neuen Zumuthung nicht. Der kopf galt lange als allein fchulmäßiger Bildung bedürftig. Nur einzelne Lehr-Anftalten unabhängig denkender fchöpferifcher Erzieher bildeten Ausnahmen, und in einer Reihe von häufern—darunter be-zeichnender Weife das vornehmfte von allen, das königliche haus von Preußen—wurde es Gitte, die knaben neben ihrem gelehrten Unterricht ein handwark erlernen zu laffen. Mit dem diefes Gefchlecht auszeichnenden hohen praktifchen Berftand hat es auch grade zu denjenigen Betrieben gegriffen, welche jeßt wieder im Bordergrunde der Schülerwerkftätten ftehen: Tifchlern und Buchbinden, oder vielmehr Buchbinden und Tifchlern, denn jenes ift für die jüngften, diefes für kräftigere Schulknaben.

page 16

Die Gewohnheit des hohenzollern-haufes kann aber über-haupt als Borbild gelten. Sie ift handgreiflich frei von aller Rückficht auf den künftigen Erwerb, dient nur der allgemeinen Ausbildung, Aber indem fie diefe Prinzen auch die Schwierigkeiten und Feinheiten einer ehedem von ihresgleichen tiefverachteten, den Sklaven und Leibeigenen überlaffenen Art von Arbeit kennenlehrt, macht es die doch fähiger für ihren hohen Beruf, begründet es in ihnen Achtung vor einer Thätigkeit, aus der ein großer Theil des nicht mehr fklavenmäßig unterworfenen Bolkes fein brot und feine Lebensfreude gewinnt.

Go ift der handwerks-Unterricht gemeint, welchen diefe Bereinigung von Männern der verfchiedenften Lebensftellungen erfterebt. Wir reihen ihn ein in die Fächer der allgemeinen Bildung. Danach fuchen wir die handwerksbetriebe aus, melche in die Lehrwerkftätten aufgenommen werden, und nicht wie handwerker thun, wird in ihnen gearbeitet, d. h. im Banne der zahlungsfähigen nachfrage nach den Erzeugniffen, fondern wie die Erziehungswiffenfchaft es vorfchreibt, gegründet auf kenntnis und Beherrfchung der Menfchennatur. Der junge foll mit einem Paar händen ins Leben treten, die noch etwas mehr können als die Feder führen und ein Buch umblättern.

Wohin zielt das nun? Es wird alle die den neuen Unterricht genießen für die Wechfelfälle des Dafeins, für die Berfchiedenheit der Lagen, denen Dank den modernen Berkehrsmitteln und Dank unter anderem auch dem fo mächtig erwachten nationalen Trachten nach Colonien der Menfch der Gegenwart ausgefeßt ift, vollftändiger ausrüften und unabhängiger von kunftgerechter fremder hilfe hinftellen; aber handwerker macht es aus ihnen nicht, denn dafür ift das handwerk längft zu ausgebildet und getheilt. Doch werden die deren Loos einmal die Arbeit in der erwerbenden Werkftatt fein wird, ihr Lebelang die Wohlthat spüren, daß ihre hand in der iugend nicht verkümmert noch fich felbft überlaffen geblieben, fondern tüchtig ausgebildet worden ift. Ebenfo unmittelbaren, nachweislichen Bortheil wird angeeignete handarbeit dem Befteller des nährenden Bodens in feinen täglichen Berrichtungen und Bedürfniffen bieten. Ie einfacher ein Beruf, kann man fagen, defto werthvoller verhältnismäßig auch diefer Erziehungszweig für feine künftigen Betreiber. Ie zufammengefeßter, feiner, geiftiger umgekehrt ein Beruf, defto nüßlicher der handfertigkeits-Unterricht als ein Gewicht in der anderen page 17 Schale der Wage, das fich immer gleichbleibt,—defto wichtiger diefe neue Bür das Gefundbleiben.

Wir brauchen diefe einfachen und naheliegenden Betrachtungen nur mit den kopfzahlen zu vervielfältigen, welche hier in Anfaß kommen, um die volle Bedeutung unfrer idee zu überfchlagen. Sie ift für Alle, die ihrer Berwirklichung nicht zufällig fchon, wie das erlauchte hohenzollern-haus, vorangeeilt find. Sie erhöht in ihrem Totaleffect nicht unmerklich die kraft der nation, indem fie ihr auf der Seite der in fichtbaren Dingen auftretenden Leiftungsfähigkeit zulegt, ohne ihr dafür auf der anderen Seite das mindefte zu nehmen. Der ftärkere, fähigere Menfch wird beides können.

Aber fo weittragend und allbedentfam in feinen leßten nationalen und fäcularen Zielen der Gedanke, fo maßvoll find unfre Anfichten und Pläne hinfichtlich feiner Berwirklichung. Wir wünfchen ihn nicht einmal mit Gewalt durchgeführt, gefchweige denn daß wir es forderten und betrieben. Die idee hat Zeit und die Agitation befcheidet fich. Allzu fehr fchon nimmt heute die Schule den knaben in Befchlag, als daß ihm ohne weiteres eine neue Laft aufgehalft werden könnte, felbft wenn ihre Wirkung dem Anfchein entgegen, wie wir allerdings für zahlreiche Fälle glauben, durch den Wechfel der Befchäftigung nicht Mehrbelaftung fondern Erleichterung würde; allzu gefchloffen und befeßt fteht vor uns diefer alte wunderbare Bau, unfer deutfches Schulwefen, als daß ein neuer Eindringling erwarten könnte fofort für fich Raum und volle Würdigung zu finden. Aber der Bau ift doch nicht ftarr wie Stein oder undurchdringlich wie Eifen. Er befteht fchließlich auch aus Menfchen, Menfchen der höchften Bildung und Gefittung, d. h. aus dem fortfchrittsfähigften was es giebt, aus Geiftern die fich gegen Culturideen nicht verfchließen können. Wir haben in den leßten zwanzig iahren noch weit fchroffer, ablehnender widerftrebende Geftaltungen in Deutfchland fich von Grund auf wandeln fehen, und erleben alle Tage die Beweglichkeit und Elafticität der nationalen Geele als daß die Geringfügigkeit der erften Fortfchritte uns zagen laffen follte an dem endlichen Triumph unfrer guten, wahren, krafterhöhenden idee. Am wenigften könnte folcher kleinmuth uns in Görliß befchleichen, das mit Leipzig und Osnabrück am erfolgreichften die Wellen der Bewegung immer weiter treibt.

page 18

Borfißender Prof. Biedermann: Es ift nach jedem Bortrag natürlich den Theilnehmern geftattet, ihre Anfichten über denfelben auszufprechen; indeß möchte ich bei diefem Bortrage, der nur allgemeine Anfichten ausfpricht, Anfichten zu vertagen bis zu den fpäteren Gegenftänden, wo daffelbe Thema in größerer Specialität uns entgegentritt. Demohngeachtet frage ich jedoch, ob jemand hierzu das Wort ergreifen will? Es ift nicht der Fall. Wir gehen daher zum zweiten Gegenftand unferer Tagesordnung über, und ich bitte herrn Oberlehrer Dr. Göße-Leipzig hierzu das Wort zu ergreifen.