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The Pamphlet Collection of Sir Robert Stout: Volume 58

die Bapier-und Bapp-Arbeiten

die Bapier-und Bapp-Arbeiten.

Diefelben entfprechen allen Forderungen, die wir feftgefetzt haben. Bei zehnund elfjährigen Knaben dürfen felbftber-ftändlich nicht allzu complicirte Gegenftände als Arbeitsobjecte gewählt werden. In den ländlichen Bolksfchulen find mit Rückficht auf den Lausfleiß auch einige der einfachften buchbinderfchen Arbeiten gelegentlich zu üben. Als felbftändigen Unterrichtsgegenftand halte ich dahingegen Buchbinderei für ganz berwerflich; einmal wegen ihres geringen formalen Rutzens, und zum andern, um den Bedenken der Handwerker inbetreff der Concurrenz, welche ihnen durch die Kinderbefchäf-tigung in diefem Fache namentlich in den Städten bereitet werden würde, keine Rahrung zu geben.

Der Oberftufe überlaffen wir die Umbildung der Stoffe in Körperform. Rach unferen Unterfuchungen find hierbei drei Richtungen zu beachten.—Das Umbilden gefchmeidiger Stoffe, wie fie fich in der Zöpferei, der Steingutund Borzellan-FabriKation zeigen, ift borzugsweife die Arbeit der Drehfcheibe oder anderer finnreich conftruirter Mafchinen und fällt fchon darum außer Betracht.—Die Umwandlung derjenigen Stoffe, welch entweder erft durch Feuer formfähig gemacht werden müffen, oder zu deren Bearbeitung befondere Kräfte nöthig find, alfo die mannichfachen Gifen-, Kupfer-, Glas-Arbeiten u. f. f., konnen hier ebenfalls nicht berückfichtigt werden. Die exforderlichen Ginrichtungen find zu complicirt und zu koftfpielig, die Arbeiten felbft überwiegendermaßen fchwer und auch gefahrbringend. Gomit berbleiben uns nur noch die Formenarbeiten in Holz, die gewerblichen Ihätigkeiten des Iifchlers, Drechslers, Böttchers, Stellmachers, Löffellchnitzers u. f. f.—Sine eigenartige Combination diefer berfchiedenen Arbeitsarten, der Holzflöjd, wird dem Slöjd-Unterricht in der Mehrzahl der Schulen Schwedens zu Grunde gelegt. Die Bofener Handfertigkeits-Schule hat die Arbeiten page 64 der Böttcherei wegen ihrer Schwierigkeit, und die der Drechslerei wegen ihrer Koftfpieligkeit, der damit berbundenen allzugroßen körperlichen Anftrengung und gleichfalls fchwierigen Iechnk ausgefchieden, und das wird auch als allgemeine Regel gelten müffen. Für Stadtfchulen genügen im allgemeinen

Arbeiten aus dem Gebiet der Zifchlerei, die in enger Berbindung mit wenige charakteriftifchen Arbeite der Löfferfchitzer ftehe.

Letztere forder wir im Gegefatz zu adere Freunden des Hadfertigkeits-Uterrichts aus dem Grude, weil fie eigenartige Hadfertigkeite ud isbefodere auch intenfibe Uebunge fürs Auge umfaffe. Im Itereffe der Etwicklug grundlegeder Fertigkeite für de künftige Lausfleiß werde auf dem Lande

neben der Anfertigung bo Gegeftände aus dem Gebiet der Zifchlerei weiter gehede Uebunge der Löfferfchnitzerei, fowie folche Arbeite zu pflege fei, welche a der Schnitzelbak mit de eifachfte Werkzeugen borgenommen werde können.

Die Borzüge der Holzarbeiten is rechte Licht zu ftelle erübrigt fich nach der allgemeien Anerkennung, welche fie gefunden haben, nach den eingehenden Lobeserhebungen, die ihnen im bergangenen Iahre i Osnabrück zutheil geworden find, bon felbft. Sie etfprechen eben allen Anfprüchen, die man an einen erziehlichen Landfertigkeits-Unterricht ftelle kann, in borzüglichem Maße. Daß fie fich auch auf Mathematik bafiren laffen — was manche bezweifeln—ift wohl für jeden, der dahingehende Unterfuchungen angeftellt hat, unfraglich. Das Bofener Shftem bon Holzarbeiten hat diefen Gefichtspunct bollftändig durchgeführt.

Für die Schulen des platten Landes in Dörfern und borwiegend ackerbautreibenden Kleinftädten ift der Landfertigkeits-Unterricht nach Durcharbeitung der borgeführten Unterrichts-Gegenftände als abgefchloffen zu betrachten; zumal er fich hier auf das Winterhalbjahr befchränken muß, da im Gommerhalbjahr mit Rückficht aur eine möglicht allfeitige Borbereitung auf das praktifche Heben in diefen Schulen auch

die Arbeiten des Bodenbaus, der Bflanzen-und Bienenzucht im Schulgarten

page 65 zu betreiben find. Dahingegen wird in den borwiegend gewerbetreibenden Städten der Landfertigkeits-Unterricht—wie mir es bereits begründet haben—mehr nach feiner Bedeutung für Weckung und Bildung des Kunftgefchmacks cultibirt werden, aus welchem Grunde dort Arbeitsweifen der bierten Stufe gewerblicher Ihätigkeiten, bei denen das technifch-künftlerifche Element herborragt, Bflege erheifchen.

Es kommen bei diefen Arbeiten zwei Fälle zur Beachtung: die plaftifche Rachbildung bon Ratur-und Kunft-formen, wie fie fich borzugsweife in der gewerblichen Holzbildhauerei zeigen und die einfache Flächenberzierung mittels Kerbfchnitts und Ausgründung. Welcher bon Borzug gegeben werden muß, ift durch Herrn Director Grunow im bergangenen Iahr in Osnabrück nach eingehender Begründung feftgeftellt worden. Nur die Ginführung des Kerbfchnitts und der Ausgründung erfcheint als berechtigt, und wir fchließen uns diefer Anficht ohne Rückhalt an, da diefe Arbeitsarten unferen Borausfetzungen entfprechen und befonders auch der kindlichen Bhantafie den anregendften Befchäftigungs-ftoff dorbieten.

Aus mancherlei Gründen ift es nothwendig, die Ornamenten-fchnitzerei nicht als ganz felbftändiges Fach, fondern in möglichfter Beziehung zu den Holzarbeiten an der Hobelbank zu betreiben. Auf Grund mehrjähriger Grafahrung empfehle ich, daß man im erften Iahr des Handfertigkeits-Unterrichts auf der Oberftufe leichte einfache und zufammengefetzte Gegenftände der Zifchlerei, letztere befchränkt auf Nagel-, Schrauben-und Zapfen-Berbindungen, fertigen laffe, bon denen ein gewiffer Iheil im zweiten Iahr in ftufenmäßig auffteigender Weife durch Kerbfchnitt berziert werde. Im dritten Ihar fchließe fich hieran Handfertigkeits-Unterrichts abgefehen bon einigen technifchen Bollendnngsarbeiten, wie Beizen und Lackieren bereinzelter Objecte—die fchwierigere Holzberbindung (Berzinkung, Schwalbenfchwanzberbindung u. f. f.) ausgeführt an einer Reihe bon Gegenftänden, welche die Schüler der weiterführenden Bolksfachule (Mittelfchule) wiederum als Unterlage für die im nächften Iahr fich anfchließenden fchwierigen Uebungen in Kerbfchnitt und Ausgründung benutzen. Im Anfchluß hieran wird endlich bei den letztgenannten Schülern, alfo dem 15. und 1. Lebensjahr, auch darauf zu achten fei, daß diefelben unter entfprechender Anleitung und Aufmunterung page 66 des Lehrers Arbeiten manningfachr Art bornehmen, in denen fie der entwickelten Bhantafie in eigenen Intwürfen Spielraum laffen dürfen.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß nach Abfolbierung der Benfen des eigentlichen Handfertigkeits-Unterrichts es für jeden Schüler der höheren Claffen fchon in Mittelfchulen, fpeciell aber in gehobenen Bürger-, in Realfchulen und Ghmnafien leichte Mühe fein wird, Arbeiten für theoretifche Unterrichts-gegenftände borzunehmen, die felbft in das Gebiet der einfachften Metallarbeiten hinübergreifen. Die entwickelte Handfertigkeit, das geübte Auge, die praktifche Intelligenz laffen dann den Züngling nicht in Berlegenheit kommen, wenn er nöthigenfalls auch einmal mit Orahtzange oder Feile, Blechfcheere oder Löthkolben operiren muß. Letzteres felbftberftändlich, nachdem er durch Wort und Demonftration bom Arbeitslehrer dazu befähigt worden ift. Ein fhftematifcher Handfertigkeits-Unterricht in Metallarbeiten ift darum hier nicht mehr Erfordernis.

Damit hätte ich meine Aufgabe gelöft und ein "Shftem bon Formenarbeiten" borgeführt, das in erfter Linie bon erziehlichen Gefichtspuncten ausgeht und bon pädagogifchen Grundfätzen beherrfcht wird, das dann bemüht ift jeder Richtung zukommen zu laffen, was ihr gebührt, aber auch alles das auszumerzen, was die Zuftimmung der Bädagogen nicht finden kann.—Freilich das Shftem allein macht es nicht, wenn nicht der Unterricht felbft in jeder Ginzelheit methodifch richtig betrieben wird, und wenn der innere Gang eines jeden Gegenftandes nicht folgerichtig und lückenlos ift. Wird beides durchgeführt, dann werden die einzelnen Unterrichtsgegenftände auch ftets die Aufgabe löfen, welche ihnen im Intereffe des Gefammtbaus unferes Handfertigkeits-Unterrichts zugewiefen find. Daß auch hierin der Folgerichtigkeit und Lückenlofigkeit Rechnung getragen ift, wird leicht erfichtlich: folgt doch auf das befchäftigende Spiel im borfchulpflichtigen Kindesalter die fpielende Befchäftigung in den erften Iahren der Schulzeit, den Unterfchied zwifchen Spier und Arbeit ausgleichend und fo den Uebergang zur ernften Ihätigkeit bermittelnd. Und während diefe felbft es borzugsweife mit dem Umbilden linienartiger Stoffe zu thun hat, befaßt fich die ernftere Arbeit in geftaltender Linficht anfangs nur mit der Ausarbeitung bon Linienbegrenzungen an flächenartigen Stoffen, dem wenig fchwierigen An- page 67 einanderfügen hergeftellter Iheilftücke und der Bedeckung derfelben, und erft fpäter übt fie das Geftalten mannigfacher Flächen mit filfe bon Werkzeugen, das directe Herausarbeiten regulärer Körper aus Rohftoffen, fowie die berfchiedenen Ineinanderfügungen derfelben, welchen je einebeftimmte Schwierigkeit nicht abgefprochen werden kann. Lieran fchließen fich einige technifche Bollendungs-und technifch-äfthetifche Beredlungs-Arbeiten, bon denen letztere, Hand in Hand mit den entwickelten rein technifchen Fertigkeiten, fchließlich eine gewiffe Freiheit in der Compofition herbeiführen. Alle diefe Arbeitsweifen zufammen genommen, bilden ein fich gegenfeitig ergänzendes Gange, welches in den dargelegten Gigenthümlichkeiten die Glemente der Handarbeit, das Gemeinfame aller inbezug auf Material und Zechnik fo berfchiedenen Arbeitsweifen umfaßt, und fo zur Grziehung der hand, zur Entwicklung dr allgemein technifchen Anlagen und Fähigkeiten im Menfchen, zur Bildung der praktifchen Intelligenz wohl geeignet ift.

Borfitzender Professor Biedermann: Bebor ich die Debatte eröffne, erlaube ich mir der geehrten Berfammlung eine telegraphifche Depefche unferes hochberdienten Freundes Randt mitzutheilen:

Lingen. Dem Congreß herzlichen Gruß. Die gute Sache wachfe und fiege! Rahdt, Superintendent. Ich eröffne nunmehr die Discuffion und ertheile das Wort Herrn b. Schenckendorff.

Abgeordneter b. Schenckendorff-Görlitz: Meine Herren! Geftatten Sie mir, mit einigen Worten in den foeben bon uns gehörten inhaltreichen Bortrag einzugreifen. Die Frage, welche Lehragegenftände eine Handfertigkeitsfchule lehren foll, ift eine der beftrittenften, und wenn ich es fagen foll, auch eine der fchwierigften. Sie wird in der Regel heute dadurch entfchieden, welchen Urfprung die Schule hat. So finden wir beifpielsweife in Schweden, wo das Rääs'fche Shftem das borherrfchende ift, in den Schulen hauptfächlich die Zifchlerei und diefe oft ganz allein. Berdankt die Schule ihr Entftehen dem Herrn Rittmeifter b. Claufon-Kaas, fo finden wir eine Anzahl weiterer Gegenftände bertreten. Auf diefe Weife kann man gewiffermaßen an der Art der gewählten Lehrgegen-ftände den Urfprung unfrer heutigen Schulen bon bornherein erkennen.

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Wenn nun der Congreß — und es ift diefe Frage fchon im borigen Zahre zu Osnabrück berührt worden—eine pofitibe Stellung nehmen foll zu beftimmten Gegenftänden, fo haben Sie eben aus dem Borgetragenen felbft entnehmen können, wie fchwierig das zur Zeit noch ift. Und wenn Sie bedenken, daß alle diefe Schulen, die wir haben, erft feit einigen Zahren beftehen, daß fie ferner aur berfchiedenen Grundlagen und mit berfchiendenen Zielen emporgewachfen find, fo werden Sie auch einfehen, wie fchwer es dann ift, die Schule bon dem Lebensboden, dem fie erwachfen, durch einen einfachen Congreßbefchluß loszureißen. Rur fo Ziel zur allgemeinen Charakteriftik der Sache; doch will ich noch auf einige fpecielle Buncte des ebenfo treffichen als fleißigen Berichts eingehen.

Meine Herren, der Herr Bortragende hat die Korbund Storh-Flechterei aus den handfchulen berwiefen und den Iändlichen Fortbildungsfchulen übertragen. Ich ftehe hinfichtlich der Fortbildungsfchulen, deren warmer Freund ich bin, doch auf dem Standpunct, daß ich glaube, diefelben dürften bei dem Umfang ihrer fonftigen Aufgaben für eine derartige Befchäftigung wenig Raum bieten. Meine Herren, ich habe auf diefem Gebiet mannigfache praktifche Erfahrungen gefammelt, und will nur ein Beifpiel aus bielen anführen. Die Fortbildungsfchule, die wir hier in Görlitz haben und die fehr fegensreich arbeitet, ift eine der umfangreichften Schulen, denn fie hat einen bierjährigen Lehrgang bei wöchentlich acht Unterrichtsftunden. Run bedenken Sie, daß die ländlichen Forbil-dungsfchulen für ihre Lehrziele doch meift eine weit befchränktere Zeit habeu, daß ihre Lehrgänge nur auf zwei oder drei Iahre bei oft nur bierftündiger Unterrichtszeit in der Woche feftgefetzt find: wo foll da die Zeit noch herkommen für den Arbeits-Unterricht? Dann möchte ich auch principiell fagen: ich erachte die Korb-und Storh-Flechterei doch als wünfchenswerthen Gegenftand in den ländlichen Arbeits-fchulen. Meien Herren, wir müffen die berfchiedenen Gegenftände nicht allein nur bon ihrem formal bildenden Werth aus betrachten,—gewiß, damit ftimme ich, wie Sie nachher ausführlicher noch bon mir hören werden, mit dem Herrn Borredner überein, daß jeder Gegenftand fo gewählt und gelehrt werde, daß er bildend wirkt, daß in der Lerftellung der einzelnen Gegenftände eine ftufenmäßige Folge bom Heichten zum page 69 Schweren beachtet wird, daß die Erläuterungen im pädagogifchen Sinne erfolgen,—fondern wir müffen bei der Auswahl der Gegenftände uns auch auf einen praktifchen Standpunct ftellen und die materiellen Bedürfniffe und Anforderungen des Lebens berückfichtigen. So haben wir in der Stadt neben anderem beifpielsweife an das handwerk zu denken, während ich für das Land die genannten Gegenftände, um Schule und Heben in engere Berbindung zu bringen, für geboten und wünfchenswerth erachte.

Rächftdem würden aber für das Land auch noch, wie der Herr Referent auch herborhob, die Arbeiten an der Schnitzel-und Hobel-Bank in Betracht zu ziehen fein, und Während die Korb-und Storh-Flechterei fchon in früheren Iahren begonnen werden können, ift die Holzarbeit, welche wegen der größeren Zähigkeit des Stoffes mehr Kraft borausfetzt, erft eine Befch ftigung für die fpäteren Iahragänge.

Es ift dann ferner der Laubfägerei gedacht worden. Infofern die Laubfägerei eine Befchäftigung für fich, alfo Endgweck fein foll, glaube ich, werden Alle die auf den pädagogifchen Standpunct fich ftellen, mit mir darin übereinftimmen, daß die Laubfägerei, alfo als Zweck gedacht, nicht zu denjenigen Gegenftaänden gehören kann, welche in einem erziehlichen Handfertigkeits-Unterricht gelehrt werden follten. Als Hilfs-fertigkeit und Borbereitung für die Führung der Säge hat jedoch auch die Laubf gerei ihre bolle Berechtigung; und ich möchte daher die Gegner der Laubfägerei bitten, das Kind doch nicht mit der Wanne auszugießen. Wir gebrauchen die Laubfäge z. B. bei der Holzfchnitzerei, bei den Gegenftänden, die Sie in der Gewerbe-Ausftellung nachher bon meiner Schule fehen werden; fie dient hier zum Ausfägen der Gegenftände, welche befchnitzt werden follen. Wie kann ein Schüler diefe etwas ftärkere Säge mit Sicherheit führen, wenn er fich nicht borher in der Führung der leichteren Laubfäge geübt hat? Wir können fie aber auch nicht entbehren bei den Einlegearbeiten, zu denen wir gelangen werden, wenn wir in unferen Holzarbeiten noche weiter fortfchreiten. Ich Würde alfo unter folchen Umftänden, wo die Laubfäge als Mittel zum Zwecke dient, fie in der Schule Zulaffen.—Ich möchte nun zum Schluffe noch einen Bunct erwähnen, der bei unferen Beftrebungen der Erwähnung heute wohl werth fein dürfte.

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Die Ihätigkeiten in unferen Handfertigkeitsfchulen werden noch bielfach mit hochtrabenden Ramen belegt, welche zu Irrungen in weiteren Kreifen oft Beranlaffung gegeben haben. Fange ich an mit dem Worte Zifchlerei! Da denkt doch Ieder, es follen Zifche, Stühle u. dgl., alfo Zifchlerarbeiten gemacht werden. Das ift aber gar nicht der Zweck, den wir berfolgen; es foll nur das holz in einfachfter Weife gemodelt, bearbeitet werden. Gegenftände wie die borerwähnten gelangen gar nicht zur Lerftellung. Werfen wir alfo das Wort Zifchlerei in das bolk, fo gewinnt diefes bon unfern wirklich gefertigten leichten Holzarbeiten eine ganz falfche Borftellung. Rennen wir diefe Ihätigkeit lieber: leichte Holzarbeit an der Hobelbank, fo ift dies keinen Misberftändniffen ansgefetzt, Während das Word Zifchlerei den ganzen Beruf des Zifchlers in den Kreis der Betrachtung zieht.—Ich nenne ferner die fogenannte Metallarbeit. Wer denkt da nicht im erften Augenblick an Lämmern, Schmieden, Schweißen? Richts liegt uns aber ferner als das; für uns handelt es fich da doch nur um die einfachften Arbeiten bon Blech und Draht, die allenfalls mit der Höthlampe gelöthet werden. Der Rame Metallarbeit trifft nicht das was mir wollen, und es fehlt mir felbft augenblicklich das rechte Wort hierfür.—In gleicher Weife berhält es fich mit dem Modelliren. Wir haben uns bei diefem Worte Fchon In Osnabrück recht fcharf an den Harren gefaßt, und ich führe das zurück auf diefelbe Urfache; es wird eben mit dem Ramen etwas falfches ausgedrückt, infofern man fich das Modelliren denkt, wie es in den Fach-und Kunft-Schulen getrieben wird. So entftehen allerdings Borftellungen, die mit der Wirklichkeit gar nicht übereinftimmen. Wir denken uns das Modelliren als eine Zhongeftaltung in feinen einfachften Formen. Ich wollte alle Freunde unferer Beftrebungen bitten: berpönen Sie die Ramen, welche unferm Bolke ganz falfche Borftellungen geben bon dem was wir erftreben. Wir wollen keine Zifchlerei, keine Metallarbeit, kein Modellieren in gewerblichen Sinne, fondern nur die einfachfte elementare Bearbeitung des Stoffes; wir wollen keine große handwerkliche Zhätigkeit hier üben, die irgendwie dem Handwerk Concurrenz bereitet; darum laffen Sie uns nach Worten fuchen, die das was wir wollen auch wirklich treffen.

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Rittmeifter b. Claufon-Kaas: Weine Herren, obgleich ich der Anficht bin, daß der Herr Bortragende weiter gegangen ift, als wie nach den Worten des Brogramms ihm eingeräumt war,—indem es dort heißt: "welche Fehrgegen-ftände hat ein erziechlicher Handfertigkeits-Unterricht zu umfaffen?" und damit wohl zunächft die pädagogifche Seite des Unterrichts in den Bordergrund geftellt worden ift,—fo bin ich dem Bortragenden doch dankbar, daß er auch die zwei andern Seiten, die ich bon Anfang an bertreten wiffen möchte, nemlich der Hausfleiß und die Hausinduftrie, mit berührt hat. Ich möchte aber als alter Mitarbeiter auf diefem Gebiet noch einige Worte hinzufügen, um die Frage noch mehr zu läutern und zu klären. Während man in Deutfchland wie auch in einigen andern Ländarn mit großer Borliebe die pädagogifche Seite der Handarbeit betont, möchte ich doch auch die beiden andern Seiten herborheben und der Berfammlung mehr ans Herz legen. Unter Hausfleiß berftehen wir die Arbeit im Laufe und fürs Haus, ohne dabei an Erwerb zu denken. Ein Erwerb liegt ja allerdings in gewiffer Beziehung infofern darin, als man nicht zu kaufen braucht, was man fich felbft herftellt. Das andere, die Hausinduftrie foll betrieben werden, um der Bebölkerung einen Erwerb zu berfchaffen, und zwar einen Rebenerwerb. Es unterliegt keinem Zweifl, daß auch diefe beiden Richtungen einen erziehlichen Werth haben. Es ift fchon bon dem Bortragenden betont worden, daß auf dem Gebiet des Hausfleißes die bolkserziehliche Seite bon der größten Bedeutung fei; dies ift aber unbedingt auch auf dem Gebiet der Hausinduftrie der Fall. Sie wird eingeführt an Orten und in Gegenden, wo es der Bebölkerung an Rebenerwerb fehlt. Und ich möchte wiffen, was wohlthätiger, fegensreicher ift: fie hungern zu laffen oder fie etwas zu lehren, womit fie fich etwas berdienen können, und dadurch ihrem Heben eine neue Richtung zu geben und fie dabor zu bewahren, in das Broletariat herabzufinken? Es haben alfo alle drei Richtungen ein bolkserziehliches Element.

Anders ift es allerdings, wenn wir bon der Schule iprechen. Das ift eine ganz neue Seite, und ich wollte, um die Soche zu klären und nicht falfche Meinungen in die Bebölkerung hineinzubringen, nur die pecuniäre Seite berühren und herborheben, daß die Handarbeit, bei welchere man allein das pädagogifche Brincip obwalten läßt, das meifte Geld koftet.

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Bas nun die Gegenftände anbetrifft, fo ift auf dem Gebiet des Hausfleißes, wo alfo im Haufe gearbeitet und wo fürs Haus gearbeitet werden foll, eine Allfeitigkeit geboten und namentlich unter den ländlichen Berhältniffen; denn heute geht ein Zeller entzwei, morgen eine Schüffel, übermorgen ein Bflug oder ein Rad, ein Korb oder eine Bürfte, und alles foll reparirt werden im Haufe, alfo bon den Bewohnern des Haufes. Eben diefe Richtung ift fo fchön bertreten in meinem Baterlande, in Dänemark, wo auch zugleich gezeigt worden ift, daß mit wenig Mitteln Ziel erreicht werden kann.

Bei der Hausindusftrie ift dagegen eine Allfeitigkeit oder Bielfeitigkeit gar nicht geboten; fie wäre bielmehr ein Mißgriff. Wenn man einer Gegend einen Rebenerwerb berfchaffen will, fo geht es nur in einer beftimmten Richtung. Es muß der Handfertigkeittreibende in einem beftimmten Zweige zu einer gewiffen Bollkommenheit herangebildt fein, damit er aus feiner Befchäftigung einen Bortheil erzielen kann.

Bon den berfchiedenen Induftriezweigen, die ich unter dem fächfifchen Minifterium des Innern betreibe, will ich nur zwei erwaähnen, Strohflechterei und Schnitzarbeit. Ich kann fagen, daß damit ein bedeutender Berdienft erzielt worden ift, in den letzten zwei Monaten allein 2000 M; natürlich müffen fich dann auch diejenigen die fich durch Holzfchnitzerei einen Erwerb berfchaffen wollen, darauf legen. Und das alles wird erreicht mit wenig Mitteln, welche fich für einen Schüler auf etwa 3——4 M belaufen. Ebenfo berhält es fich mit der Korbflechterei; es find auch dazu große Ausgaben nicht erforderlich. Bei der Strohflechterei braucht man im wefentlichen nichts anderes als die Finger. Ich will nur das herborheben:

Um in der Hausinduftrie alle Richtungen zu berfolgen, bedarf es weniger Mittel; Mittel erfordert unbedingt die pädagogifche Richtung; denken Sie nur an die Anfchaffung bon Hobelbänken und andern Sachen.

Wenn uns der Herr Bortragende auch ganz beftimmte Zweige für die Schule borgefchlagen hat, fo dürfen wir nicht unbedingt annehmen, daß das das allein richtige ift. Wir dürfen nicht bergeffen, daß wir mit fehr berfchiedenen schulen zu thun haben, mit höheren Schulen, mit ftädtifchen Bolks-und mit Landfchulen. Warum foll man z. B. in den letzteren die Korbmacherei nicht treiben, warum die Strohflechterei nicht page 73 bornehmen? Wer bürgt uns denn dafür daß wir für andere Befchäftigungen eine ausgeftattete Werkftatt bekommen? Warum follen wir mit geringen Mitteln nicht beginnen? Außerdem finden wir auch in den Schulen, die augenblichklich beftehen, mit großer Borliebe und Züchtigkeit jeden Zweig bertreten. Ich möchte fagen, wir befinden uns noche zu fehr auf einem Berfuchsfeelde; es ift noche zu früh, um fagen zu können: Diefes ift gut, und jenes muß berworfen werden. Es muß fich alles erft noch weiter entwickeln. Es ift ficher, daß jeder Zweig biele Schüler an fich gezogen hat, und daß alle mit großer Borliebe arbeiten.

Waifenhaus-Director Kranz-Wüftegiersdorf: Der Umftand, daß an das Gehörte eine eigentliche Debatte fich nicht geknüpft hat, ift ein Beweis dafür daß die Berfammlung zu dem in fo klarer und maßboller Weife zum Bortrag Gebrachten ihre Zuftimmung erklärt. Wir find überzeugt dabon daß der Handfertigkeits-Unterricht bon der praktifchen und pädagogifchen Seite aus feine Förderung zu erfahren hat; indeß wird es nicht immer möglich fein, auf dem pädagogifchen Gebiet überall borzugehen, weil es an Lehrern hierzu fehlt. In Waldenburg z. B., welches in feinen 5 Arbeitsfchulen 500 Kinder unterrichtet, wird der Unterricht bon Handwerksmeiftern ertheilt, und ich kann fagen, daß inbezug auf Fertigkeit diefe Schulen eine gewiffe Anerkennung berdienen, wenigftens ift mir das bon den Herren, welche im Auftrag der königlichen Regierung zu Breslau die Schulen befuchten, berfichert worden. Inbezug auf die Auswahl derjenigen Gegenftände, die betrieben werden möchten, alaube ich mich mit den Borrednern dahin einberftanden erklären zu können, daß die Zeit noch Ziel zu Kurz ift, um darüber endgiltige Befchlüffe zu faffen. Man wird dies bielfach äußern Umftänden anheim geben müffen. Denken Sie fich beifpielsweife einen kleinen Ort, da ijt zufällig ein Zifchlermeifter anfäffig oder ein Korbmacher, der dafür ein Gefchick zeigt; warum foll man da die borhandenen Kräfte nicht benutzen, warum foll man da etwas anderes beginnen? Ich glaube alfo, daß man darin zu weit geht, eine beftimmte Grenze ziehen zu wollen; man muß es bielmehr den Berhältniffen überlaffen.

Ich weiß nicht ob ich recht thue, wenn ich noch auf etwas aufmerkfam mache, was mir fehr wichtig erfcheint. Biele der Herren werden mit mix die Erfahrung gemacht haben, daß es page 74 mit der Zeit an Gegenftänden fehlt, die angefertigt werden follen, alfo an Modellen, und es wird fich diefer Uebelftand befonders bemerklich machen an Orten, die eine entfernte Lage haben. Würde es fich da nicht empfehlen, wenn die berfchiedenen Schulen ihre Modelle gegenfeitig austaufchten? Ich wollte die Sache hier nur in Anregung brigen und den Herren anheimgeben, die Zweckmäßigkeit meines Borfchlages zu prüfen, und ebentuell einen Austaufch der Modelle unter den in Deutfchland beftehenden Schulen herbeizuführen.

Lehrer Hertel-Zwickau in Sachfen: Meine Herren, es hat mich herzlich gefrent, daß das in Rede ftehende Ihema einen Bextreter gefunden hat, der die bielen Richtungen, die der Handfertikeits-Unterricht bis jetzt eingefchlagen, gekennzeichnet hat. Es find nicht wenige unter uns, die da glauben, der Handfertigkeits-Unterricht hange allein ab bon der Möglichkeit der Zifchlerei oder einer andern derartigen Arbeit. Ich habe mich darum gefreut daß das Gebiet welches zu bebauen ift, heute als ein fo großes bezeichnet worden ift. Bezüglich der Lanbfäge-Arbeit ftelle ich mich auf den Standpunct des Herrn b. Schenckendorff. Ich meine auch, daß die Laubfäge nur bon denjenigen berurtheirt wird, welche wohl den Misbrauch derfelben, aber nicht ihren rechten Gebrauch Kennen. Wenn der Iunge auf fich felbft angewiefen ift, dann bleibt ihm nichts weiter übrig als zu fägen. Anders geftaltet fich jedoch die Sache beim Unterricht in der Handfertigkeitsfchule. Der Knabe fägt nicht bloß, er ftellt auch zufammen, lackirt, polirt, ex wechfelt ab mit den berfchiedenften Ihätigkeiten. Der Behrer wird ihm nicht diejenigen Aufgaben ftellen, die fich auf mechanifche, geiftlofe Art und Weife ermöglichen laffen. Ganz ausfchließen Kann auch die Handfertigkeitsfchule die Säge nicht. Dann ift auch noch folgendes in Erwägung zu ziehen. Wenn wir für unfere Ideen neue Kreife begeiftern und gewinnen woffen, fo müffen wir uns an das anfchließen, was fchon im Bolke lebt. Run finden Sie in weiten Kreifen, wo die Iugend bisher bei ihren Befchäftigungen fich felbft überlaffen war, die Laubfägearbeiten als Lieblings-und Erholungsbefchäftigung der Schüler; und ich meine es ift richtig, wenn man hier einfeßt und damit beginnt, wenn man auf diefe Lieblingsthätigkeit der Schüler eingeht und dann leife das Ziel weiter fteckt. Mit Gewalt läßt fich das Bublicum nicht leiten; es will fehen, was mir leiften können. Die Laubfägearbeiten haben allerdings den page 75 Rachtheil, daß fie durchaus Scheinconftructionen find. Das ift mahr; der Ginwurt fcheint berechtigt. Allein, meine Herren, die Scheinconftruction ift immer noch das Bild einer wirklichen Conftruction. Und wenn dem Schüler gezeigt wird: fiehe, diefes trägt und jenes wird getragen, und darum fteht diefes hier und jenes dort, hier ift es berechtigt und dort nicht,—fo gewinnt der Schüler die Grundlage des Berftändniffes für die kunftgewerblichen Gegenftände; er fieht fie nicht an als zufällige Formen, fondern ex unterfcheidet ihre einzelnen Iheile, fucht die Functionen der einzelnen Iheile auf und beurtheilt den Gegenftand danach, und das will auch erlernt fein. Ich füge noch eins hinzu: es gibt eine Menge Arbeiten, die man nicht ohne Weiteres bon der Hand weifen kann. Ich denke an unfer Erzgebirge, dort läßt fich unfer Unterricht bloß durchführen mit Lilfe der Laubfäge, und zwar deshalb weil jeder Iheil des Gebirges angewiefen ift auf Einlegearbeiten. Wenn der Lehrer dort nicht will eingehen auf diefen Zweig, wenn er fich damit nicht befaffen will, fo bezahlt man ihm nicht einen Bfennig dafür. Die Laubfäge erweift fich aber auch bei anderen Arbeiten als nothwendig, nemlich bei gewiffen Metall-Arbeiten. Es thut mir leid, daß ich hier aus unferer Schule nichts dabon habe ausftellen können; die Arbeiten waren ausgegeben. Es laffen fich mit Hilfe des Löthens ganz munderhübfche Dinge in Metall herftellen. Alfo ich will einmal fagen: einzelnes aus dem Gebiet des Gürtlers und des Reufilber-fabrikanten; aber immer nur die erften Anfänge. Weiter darf die Schule jedoch nicht gehen; darum meine ich, wir dürfen bei unferem heutigen Zufammenkommen die Laubfäge nicht fo ohne weiteres bon der Hand weifen; ich felber habe den nachtheiligen Ginfluß folcher Meinungen gefpürt, fie wurden feiner Zeit durch den "Rordweft" berbreiter, und diefes Organ wird ja auch bon maßgebenden Berfonen in der Gemeinde gelefen. Ich habe damals gehörig kämpfen müffen, um die nachtheiligen Folgen einer derartigen Berbreitung zu befeitigen. Ich würde mich alfo dahin ausfprechen, daß man es bermeide gegen folche beftrittene Fächer mit einer gewiffen Unbedingtheit aufzutreten.

Schuldirector Kunath-Oresden: Ich möchte den Ausführungen meines Herrn Borredners nur eine kurze Bemerkung hinzufügen. Als im borigen Iahre in Osnabrück das geflügelte Wort "Laubfägearbeiten gehen entzwei" bom Stapel page 76 ging, mußte jeder die Wahrheit deffelben, foweit es fich auf die gewöhnliche Laubfägearbeit bezog, anerkennen. Ich kann jedoch bezeugen, daß ich bor einiger Zeit derartige Ausftellungs-gegenftände mit großem Intereffe befichtigt und fie felbft mit dem Fuß getreten habe, ohne daß fie brachen, weil fie aus befferem Material hergeftellt waren. Gin Herr Borredner beklagte fodann den Mangel an Modellen, und es worde darauf hingewiefen, fich in diefer Angelegenheit an das deutfche Central-Comite zu menden. Ich fage mir aber: mas kann denn das Comite thum? Doch auch nichts anderes als auf Borlagen hinweifen, Ziel mehr nicht. Ich habe deshalb das Wort ergriffen, um dem Herrn zu fagen, wie wir uns in Sachfen zu helfen berfucht haben in andrer Weife. Wir haben uns Zufammen gethan zu einem Landesberband, der diefe praktifche Frage löfen, den Austaufch der Modelle bermitteln und den Ankauf bon Werkzeugen erleichtern foll. Und foweit man geneigt fein follte an diefen Landesberband fich zu winden, wird man has herzlichfte Entgegenkommen, die größte Bereitwilligkeit auszuhelfen borfinden.

Lehrer Donath (Weftpreußen): Es murde bon dem Herrn Borredner aus Zwickau gefagt, daß es nöthig fei, daß die Laubfägearbeit in der Schule beibehalten werde, und daß bei Einführung des Handarbeits-Unterrichts grade an die bon den Schülern fchon früher betriebenen Laubfägearbeiten angefchloffen werden müffe. Hierin kann ich dem Herrn Redner nur infofern Recht geben, wenn er dabei große Städte und befondre Landesgebiete im Auge hat, und etwa Schüler, welche das Ghmnafium befuchen. In kleineren Städten, in Stäten unter 5000 Einwohnern exiftirt die Laubfäge garnicht, und auf dem Lande ift an die Laubfäge erft recht nicht zu denken. Will man hier mit der Einführung des Landarbeits-Unterrichts beginnen, fo kann bon einem Anfchluß an die Laubfägearbeiten garnicht die Rede fein. Wenn man hier einen Anfchluß haben will, fo ift es nöthig, daß man fich fragt: was fehlt augenblicklich hier im Schulhaufe? Ich betreibe feit 1½ Iahren in meiner Schule den Unterricht und habe ihn in der Weife angebahnt, daß ich bon einem Knaben eine durchtretene Ihürfchwelle durch eine neue, die er aus einem Brette herftellen mußte, erfeßen ließ. Gin Meifter hätte die Arbeit gewiß beffer gemacht; als die Leute jedoch zum Gottesdienfte kamen, freuten fie fich darüber, daß ein Kind aus der Schule die page 77 Arbeit berrichtet hatte. Bor meiner Ihür befindet fich ein Staketenzaun, an welchem einige Latten fehlten. Ich habe den Knaben Holz gegeben, es wurde gefpalten, zu Latten zurechtgemacht und diefe angenagelt. Die leute hatten ihre Freude an der Arbeit der Knaben. Ferner habe ich mit bieler Mühe Geld zu einer Bibliothek zufammengebracht;—die Herren Collegen wiffen, wie fchwer das ift; die Wichtigkeit einer Bibliothek für die Kinder ift nicht in Frage zu ftellen. Ich habe die Bücher fchicken laffen, und die Kinder haben fie einbinden müffen, nachdem fie fchon borher dem Ortsfchulzen die Kreis-und Amtsblätter eingebunden hatten, und zwar fo daß der Herr Kreis-Schul-Infpector bezweifelte, daß es die Kinder gemacht hätten. So, glaube ich, muß auf dem Lande der Handfertigkeits-Unterricht feinen Anfchluß fuchen; nicht aber bei der Laubfägearbeit.

Director des Kunftgewerbe-Mufeums Grunow-Berlin: Meine Herren! Da ich derjenige gewefen bin, der fchon in Osnabrück gegen die Laubfäge-Arbeiten gefprochen hat, fo geftatten Sie mir einige bon den Gründen anzuführen, die mich fchon damals dagegen fprechen ließen. Es ift borhin die Laubfägearbeit erwähnt worden bei der Befprechung des Ihema's: "melche Lehrgegenftände hat ein erziehlicher Handfertigkeits-Unterrichts zu umfaffen?" Borläufig befchäftigen wir uns nur mit diefer Frage, und aus dem Mittelpuncte heraus berwerfe ich die Laubfägearbeit. Es ift doch richtig, daß das Refultat der Arbeit eine Handboll Brocken ift, auch bei befferem Material. Ich weiß daß es Mittel gibt dem borzubeugen, man braucht nur zwei Furniere aur einander zu leimen. Das ift aber nicht der Zweick der Arbeit. Der Zweck ift bielmehr, die Bildung des Berftandes und der Hand. Und ich möchte fragen, nach welcher Richtung der Berftand gebildet wird bei der Laubfägearbeit, wenn der Knabe Bauspapier nimmt, und die Zeichnung durchpauft und dann ausfchneidet? Er ift ganz außerftande auch nur ein mäßiges Mufter felbft zu entwerfen, und das ift doch der Kern unfrer Beftrebungen, die Ihätigkeit des Geiftes mit anzuregen, nicht nur die Gefchicklichkeit der Hand zu fördern. Grade in der Anregung beider liegt der erziehliche Bortheil der ganzen Richtung. Sie können nicht das eine bloß betreiben, denn dann Kommen Sie darauf hinaus, Handwerker zu bilden, nicht aber durch den Handfertigkeits-Unterricht den Stand der geiftigen page 78 Ihätigkeit des Boltes zu heben. Ich will damit nicht gefagt haben, daß ich die Laubfägearbeit unter allen Umftänden berwerfe, daß fie nicht für gewiffe Zwecke eingeführt werden und fich brauchbar erweifen könne; ich behaupte nur, daß fie für einen rziehlichen Handfertigkeits-Unterricht nicht geeignet fei. Für diefen muß meiner Anficht nach der Gedanke feftgehalten werden, daß des Knaben Geift und Hand bei der Arbeit gleichzeitig thätig fei. Nur unter diefen Bedingungen wird das Ziel erreicht werden können, das wir uns in erziehlicher Hinficht geftellt haben.

Lehrer Hertel-Zwickau: Ich habe nicht behauptet, daß die Laubfäge borwiegend fein foll. Ich kenne die Mängel und Schwächen der Laubfäge auch; aber auf eins muß ich hinweifen, daß ift die Heranziehung der Laubfäge zu dem Ornamentzeichnen in der Schule; fo böllig ohne Rutzen find diefe Arbeiten alfo doch nicht. Zweitens möchte ich dann noch hinweifen auf die Schwierigkeiten, welche der Ginführung der Iifchlerei in die Bolksfchule entgegenftanden. Wir müffen lernen Maffen zu unterrichten; wir müffen wenigftens 30 Schüler gleichzeitig unterrichten können, das ift aber bei der Zifchlerei einfach unmöglich. Bringen wir's nicht innerhalb einer gewiffen Zeit dahin, daß wir folche größere Schülermaffen unterrichten können, dann wird es bon uns fpäter heißen: Sie hatten eine gute Sache unternommen, waren aber nicht fähig diefelbe durchzuführen.

Borfitzender Brof. Biedermann-Leipzig: Wir dürfen wohl nunmehr diefen Gegenftand als erledigt betrachten. Es ift foeben ein Feftgruß eingegangen, den ich zur Kenntnis der Berfammlung bringe.

Göteborg: Wir erlauben uns hiermit unfere herzlichften Glückwünfche zu einem erfreulichen Erfolge der Congreß-Arbeiten auszufprechen. Abrahamjon, Salomon.

Lammers-Bremen: Berehrte Herren, ich knüpfe hieran einen uns fehr angenehmen Auftrag des Herrn Salomon. Diefer Meifter hat mich mit Herrn Abrahamfon gebeten, alfo noch bor Abfendung des Zelegramms, dem Congreß feine herzliche zheilnahme zu bekunden und fein Bedauern nicht hier Fein zu können auszufprechen. Er hatte bor, die Berfammlung mit feiner Gegenwart zu fchmücken; aber die Berlegung des Congreffes ouf eine fpätere Zeit und der Anfang eines dortigen Lehrcurfus haben ihn berhindert hierher zu kommen. Er page 79 nimmt, wie Sie fich denken können, den ernftlichften Antheil an unfrer Berfammlung, und hat mich auch gebeten die Berfammelten darauf aufmerkfam zu machen, daß wie ihm kurz borher bekannt geworden und in Deutfchland wie es fcheint bisher Kaum beachtet worden ift, in Ungarn eine große Ihätigkeit auf unferm Gebiet fich entfaltet hat feit länger als zehn Lahren. Ich entfpreche hiermit feinem Wunfche und möchte die in der Rähe wohnenden Herren erfuchen dorthin zu reifen, und darauf aufmerkjam machen, daß dort Ziel zu fuchen und zu finden ift. Im Anfchluß hieran möchte ich noch im Ramen des Central-Comite meine Freude ausfprechen, daß wir Gelegenheit gehabt haben auf unferer heutigen Berfammlung auch den dänifchen Agitator zu hören. Ich darf ferner hier befonders den berehrten Herrn begrüßen, welcher das ruffifche Minifterium bertritt, Herrn Geheimerath Wifchnegradski aus Betersburg. Wir fühlen uns geehrt durch feine Anwefenheit, und find erfreut daß diefes große Reich an unferer Beftrebungen Antheil nimmt. Wir können uns nichts darauf einbilden, daß in Deutfchland auf diefem Gebiet fchon Ziel gefchehen und geleftet worden fei; aber Deutfchland ift überaus günftig gelegen, und ich glaube darauf hinweifen zu dürfen, daß einige der herborragendften Bertreter und Freunde diefer Beftrebungen grade auf den deutfchen Congreffen fich zufammenfinden, wozu die günftige Lage befonders einladet. Wir werden uns freuen, wenn wir fie auch in Zukunft immer wieder begrüßen können. (Brabo!)

Borfitzender Professor Biedermann-Leipzig. Ich habe Ihnen, meine Herren, noch eine weitere freudige Mittheilung zu machen. Es ift ein freundlicher Gruß eingegangen bon dem Manne, den man mit als den erften Anreger unferer Sache anfehen muß, der fchon Anfang der 60er Iahre die Sache zur Anwendung gebracht hat, nemlich Uno Ehgnaeus aus Helfingfors. Der telegraphifche Glückwunfch lautet:

„Helfingfors, 27. Mai. Gin alter Freund des erziechlichen Handfertigkeits-Unterrichts fendet ergebenften Dant für die freundliche Ginladung und wünfcht Glück zu erfolgreicher Entwickelung diefes zeitgemäßen Unterrichtszweiges im Fröbelfchen Sinne. Uno Ghgnaeus.“

Das chlußwort hat der Herr Referent.

Lehrer Gärtig-Bofen: Meine Herren, ich kann die einzelnen Ginwendungen und Wünfche der berfchiedenen Herren Borredner bezüglich des bon mir begründe ten Shftems im Hinblick auf page 80 die Ziemlich borgefchrittene Zeit nur einer kurzen Beantwortung unterziehen. Wenn der letzte Herr Borredner gefagt hat, in den Arbeiten aus dem Gebiet der Zifchlerei müßten wenigftens 30 Schüler gleichzeitig zu befchäftigen fein, wolle diefelbe Anfpruch auf Einführung erheben, nun fo meine ich: 30 Schüler können überhaupt in kinem Lehrer in derfelben Abtheilung gleichzeitig unterrichtet werden; das ift auch bei der Bapparbeit, welche der genannte Herr bornehmlich befürwortet, nicht möglich. Der Handfertigkeits-Unterricht ift ein fo eignartiger, daß man an ihn inbetreff des Maffen-unterrichts durchaus nicht die Forderungen ftellen kann, welche man an den theoretifchen Unterricht ftellt. In den Holzarbeiten können gewiß allermeift nur 12 Knaben bon einem Lehrer zu gleicher Zeit unterwiefen werden, aber bei allen anderen Arbeiten wird diefe Ziffer auch höchftens nun ein ganz geringfügiges größer fein dürfen, will der Lehrer die einzelnen Manipulationen der Schüler genau controliren, will er nicht im Berlauf der Stunde mannigfache Schäden an den Arbeiten, Werkzeugen und felbft den Fingern erblicken. Dann. muß ich noch einem Mißberftändnis begegnen. Ich habe doch die Aufgabe gehabt, über Unterrichts-Gegenft ände zu fprechen und nicht über Werkzeuge. Demgemäß habe ich mich auch nur gegen die Laubfägerei als felbftändiges Fach gewendet. Die Laubfäge behält ihren Werth als Werkzeug, das nur felten bei feineren Holzarbeiten zur fchnell borübergehenden Anwendung kommt, ganz felbftberftändlich bei. Weiterhin ift gefagt worden, das Flechten werde in meinem Shftem nicht berückfichtigt. Ich will aber grade die Mechanik des Flechtens bereits auf der Unterftufe zum Berftändnis bringen und habe auch dem Lande befondere Flechtereien nach der Dr. Fölfing'fchen Manier zugewiefen. Wenn ich mich gegen die Korbflechterei gewendet habe, fo beruht dies darauf daß fie eben den bon mir feftgefetzten Gefichtspuncten eines fchulmäßigen Handfertigkeits-Unterrichts nicht entfpricht. Ich hebe nur das eine herbor: ich habe in Schweden öfter die Erfahrung gemacht, die Arbeiten find im Durchfchnitt für Kinder zu fchwer. Das Flechten des Randes wollte nie gelingen, immer mußte hier der Meifter eintreten.—Der Herr Rittmeifter bon Claufon-Kaas berlangt, daß alles mögliche getrieben werden folle. Kommen wir diefer Forderung nach, dann werden fich die Lehrer nie mit dem Handfertigkeits- page 81 Unterricht befreunden, weil die Schule in diefem Falle einfach Befchäftigungsanftalt wird. Erziehlich wirkt freilich in gewiffem Sinne jede Arbeit, alfo bielleicht auch Bürften-und Befen-Binderei, aber wenn wir bon einem erziehlichen Handfertigkeits-Unterricht der Schule fprechen, dann dürfen wir doch bor allem den formalen Erziehungszweck desfelben nicht aus den Augen berlieren. Wenn derfelbe Herr ferner fordert, jede Schule folle in derfelben Weife weiter arbeiten wie bisher, dann frage ich: mozu kommen wir denn eigentlich zufammen? wozu beranftalten wir dann Congreffe, die doch nicht bloß das Intereffe der Agitation, fondern auch das der Belehrung und Ginigung berfolgen?—Meine Herren, ich glaube mit boller Berechtigung eingangs meines Bortrages darauf hingewiefen zu haben: wir müffen endlich Ginigungs-puncte finden, foll das werk des Handfertigkeits-Unterrichts kräftigere Zriebe zeitigen, als dies bisher bei uns gefchehen ift. Die Unterrichtsgegenftände, welche ich als allein beachtenswerth hinftellte, haben fich allgemein als praktifch erwiefen; ich habe fie nur bom pädagogifchen Standpunct aus begründet und in ein Shftem gebracht. Daß ich damit zu weit gegangen fein foll, wie Herr bon Claufon-Kaas meint, wofür er aber den Bewies fchuldig geblieben ift, bermag ich nicht zuzugeben.

Borfitzender Professor Biedermann: Wir gehen nunmehr zu dem nächften Gegenftande der Zagesordnung über:

"Organilation und Zehremefhode der Görfitzer Handfertigkeits-Schule mit gleidjzeiftiger principieffer Grörterung der Frage, ob Lehrer oder Handwerßsmeifter den Handfertigkeits-Unterricht ertheifen follen,"

und ertheile ich das Wort Herrn bon Schendendorff.

Meine Herren! Wenn die bisherigen Berhandlungen des Congreffes fich der Bedeutung und hinfichtlich der Unterrichtsgegenftände der Begrenzung der Arbeitsideen zuwendeten, fo foll das gegenwärtige Keferat und die Borführung der Lehrproben Sie in das Gebiet der Ausführung der Arbeitsideen führen. Ich habe alfo mit den Lehrern der hiefigen Handfertigkeits-Schule gemeinfam die Aufgabe zu erfüllen, Ihnen die Braris des Arbeits-Unterrichts borzuführen, das heißt: Ihnen darzulegen und auch anfchaulich zu machen, auf welchem Wege eine page 82 Schule an einem Orte errichtet werden kann, und wie die erziehlichen Bortheile, welche wir durch den Handfertigkeits-Unterricht anftreben, durch die Aneignung manueller Fertig-Keiten auch wirklich erricht werden follen.

Meine Herren! Bei dem gegenwärtigen Stadium unferer Beftrebungen kann es fich bei einem Referat nur darum handln, Ihnen darzulegen, wie eine Arbeitsfchule neben der Lernfchule, alfo auf facultatiber Grundlage zu errichten und zu leiten fei.

Wir müffen für jetzt noch bon dem Wunfche auf obligatorifche Ginführung des Handfertigkeits-Unterrichts abfehen, weil wir nur auf dem Wege der freien Betheiligung den Boden borbereiten, und darauf auch mit Sicherheit borgehen können. Meine Gründe für ein facultatibes Borgehen find Kurz diefe:

Diefer neuer Unterrichtszweig muß zunächft noch weiter pädagogifch durchgebildet werden, ehe er allgemein eingeführt werden kann. Wir fehen ferner, daß die Zeit, welche wir für unfern Unterricht beanfpruchen müffen, im Schulwefen fchon ausgefüllt ift, fo daß es grundlegender Beränderungen bedürfte, um auf fo breiter Grundlage Kaum für diefen Unterricht zu gewinnen. Dies trifft ganz befonders für die höheren Lehranftalten zu. Das Borgehen auf facultatiber Bafis hat aber noch den befonderen Bortheil, daß die Sache damit populärer wird. Wollten wir—wie es in den erften Stadien der Entwicklung diefes Strebens in Abficht war, und, wie ich bekenne, auch bon mir befürwortet wurde—die Einführung bon oben herab, durch die Schulbehörden anftreben, fo würde dies einem Octrohiren ziemlich ähnlich fehen, und in der heutigen Zeit der freien Meinungsäußerung bielfachem Widerfpruch begegnen. Ich habe in meiner Ziemlich ausgebreiteten Erfahrung Gefunden, daß die Schulbehörden diefem Unterrichtszweig heute noch mit fehr berfchiedenem und getheiltem Wohlwollen gegenüber ftehen, was angefichts der eigenartigen Entwicklung unfers Schulwefens keinen Borwurf inbolviren foll, aber doch einen fernern Beweggrund bilden muß, borerft den facultatiben Boden noch weiter zu beackern. Ienes getheitle Wohlwollen findet, meine Herren, feine Erklärung auch in dem Umftand, daß Ziel und Ausführung unferer Beftrebungen den Schulbehörden noch nicht genührung bekannt find. Ginen fchlagenden Bewies hierfür giebt die eben abgefchloffene Debatte, in welcher noch mehrfach der ftricte Utilitätsgedanke neben dem erziehlichen page 83 herbortrat. Daß ich meinerfeits nur dem letzteren das Wort rede, und die Utilität des Arbeits-Unterrichts nur mittelbar durch Beachtung der örtlichen Berhältniffe fördern will, ift Ihnen bekannt, und wird aus meinem Referat noch näher herborgehen.

Es hieße alfo die Sache einer fehr zweifelhaften Entwicklung zuführen, wollten wir fchon heute die Hand in den Schoß legen und die Angelegenheit den Schulbehörden allein überlaffen. Was wir indeffen bedürfen, um die Sache zu fördern, das ift das Wohlwollen und die werkthätige Unterftützung der obern wie der untern Schulbehörden. Dies Wohlwollen erbitte ich daher bei dem heutigen Congreß bon denfelben im Intereffe unferer Sache in aller Form.

Dies find alfo in Kürze meine Gründe, weshalb ich heute den Standpunct berfechte, die Arbeitsfchulen zunächft auf facultatiner Grundlage zu errichten.—Ich geftatte mir mein Ihema flebft nach einer dreifachen Richtung zu befprechen:

1.Entftehung und Organifation der Görlitzer Handfertigkeits-Schule;
2.Skizzirung des Weges, den Leder befchreiten muß, um eine Handfertigkeits-Schule neben der Lernfchule an ixgend einem Orte errichten zu fönnen; und endlich
3.Entwicklung der Grundzüge der pädagogifchen Methode des Handferrigkeits-Unterrichts.

Der erfte Bunct wird Ihnen ein in einem beftimmten Rahmen abgefchloffenes Bild geben, und der Befprechung des zweiten Bunctes borarbeiten; der zweite Bunct deutet direct den Web zur Errichtung bon Handfertigkeits-Schulen im Lande an, und im dritten Buncte werde ich darlegen, wie die theoretifche Auffaffung unferer Beftrebungen in die Braris zu überführen ift, wie die Sache bom pädagogfchen Gefichtspunct aus meines Erachtens erfaßt werden muß, wenn fie wirklich die Früchte tragen foll, welche wir bon ihr erwarten. Bei Befprechung diefes letzten Bunctes wird fich dann bon felbft ergeben, ob im Brincip Handwerksmeifter oder Lehrer den Unterricht zu ertheilen haben.

Meine Herren! Die hiefige Knaben-Handfertigkeits-Schule berdankt ihre Entftehung der directen wie indirecten Anregung, beziehungsweife Mitwirkung des Herrn Rittmeifters page 84 bon Claufon-Kaas, der zu meiner Freude heute auch unter uns anwefend ift. Mit faft denfelben Worten beginnt der erfte Iahresbericht unferer hiefigen Schule. Ich erwähne das beim heutigen Congreß mit um fo dankbareren Gefühlen, als die gleiche Borausfetzung auch für biele andere Schulen im Lande zutrifft, und als fein Antheil hieran mir faft in Bergeffenheit zu gerathen fcheint. Er war der erfte Bahnbrecher für die neuere Bewegung in Deutfchland und ohne fein Auftreten und Wirken wären wir heute gar nicht hier berfammelt. Der Umftand, daß wir glaubten in mancher Richtung unfern eignen Weg gehen und den Utiltäsgedanken mehr zurückdrängen müffen, hat zu manningfachen Angriffen auf unferen hochberehrten Freund geführt, und dadurch find die wirklichen Berdienfte deffelben in den Hintergrund gedrängt worden. Es berdient dies um fo mehr herborgehoben zu werden, als Claufon-Kaas niemals behauptet hat, daß der Handfertigkeits-Unterricht, wie er ihn anfangs lehrte, ein fchon in fich abgefchloffener Unterrichtsgegenftand fei; als er nicht aufgehört hat mit dauerndem Fleiß und boller Hingabe mit uns an dem weiteren Ausbau diefes Unterrichtszweiges zu arbeiten. Wandert unfer berehrter Freund auch mehr auf dem Gebiet des Hausfleißes und der Haus-Induftrie, fo kann und darf uns dies nicht abbalten, der Gerechtigkeit den pflichtigen Zribut zu zollen, und damit zugleich, wenigftens mittelbar, allen jenen Angriffen abweifend gegenüber zu treten, welche diefen ausgezeichneten Mann im Laufe der Zahre, und zwar oft aus kleinlicher Auffaffung heraus, getroffen haben. (Brabo!)

Die bon Claufon-Kaas im Zahre 1876 in Deutfchland gehaltenen Reden hatten für Schlefien zur Folge, daß fich im Zahre 1877 der 15. Schlefien Gewerbetag für die Errichtung bon Claufon-Kaas'fchen Arbeitsfchulen ausfprach; nächftdem fand diefe Zdee in einem Zahresbericht der Bunzlauer Kinder-Befchäftigungs-Anftalt ihre Grwähnung, aus welchem ich im Zahre 1878 zuerft Kenntnis bon diefen Beftrebungen erhielt. 1879 war Claufon-Kaas dann durch Beranlaffung des hiefigen Magiftrats in Görlitz, und hielt hier einen Bortrag, der fehr gefiel. In demfelben Iahre nahm auf Koften unfrer Stadt der Herr Lehrer Reumann, noch heute Director unferer hiefigen Handfertigkeits-Schule, an dem Emdener Lehrer-Unterrichts-Curfus, den Claufon-Kaas ebenfalls leitete, theil, und am 3. März 1881 wurde, nachdem ein gweimaliger Ber- page 85 fuch die Angelegenheit zu einger ftädtifchen zu machen mislungen war, die hiefige Schule durch einen für diefen Zweck befonders gebildeten Berein eröffnet. Der Magiftrat gewährte demfelben jedoch bon Anfang an die freien Localitäten, und mehrmals auch mamhafte Geldbeiträge.

So fehen Sie alfo, daß die Grkenntnis bon dem Werthe und ben Bortheilen des Handfertigkeits-Unterrichts zunächft hier Boden fallen mußte, ehe es gelang die Berkörperung der Ideen durch Bildung eines Bereins und einer Schule folgen zu laffen.

Die Schule unterrichtet jetzt gegen 100 Knaben im Alter bon 12 bis 14 Iahren in 6 Abtheilungen, und zwar in der Halzbearbeitung ander hobelbank, dem holzfchnitzen und der Bapp-Arbeit. Ieder Schüler hat hier unentgeltlich Unterricht und wird nur in einem Lehrgegenftande unterrichtet; nach Iahresfrift kann er indeß wechfeln. Die Unterrichtszeit beträgt bier Stunden wöchentlich, und zwar gwei mal zwei Stunden an den freien Rachmittagen, bon 2 bis 4, bzw. 4 bis 6 Uhr. Die gefertigten Gegenftände bleiben freies Gigenthum der Knaben, um die Luft derfelben an folchen Arbeiten mehr anzufpornen. Ift ein Gegenftand zur Zufriedenheit hergeftellt, fo geht es an die Herftellung eines anderen, fchwierigeren. Maffenanfertigung findet alfo nicht ftatt, ebenfowenig Berkauf bon Arbeiten. Es widerfpräche dies auch dem oberften Brincip der Schule, die eben auf dem Wege der fortfchreitenden Arbeit bilden, nicht aber zum Geldberdienft führen foll. Wir fchließen alfo den Utilitätsgedanken bollftändig aus. Ift der Knabe erwachfen, und fteht er im Heben, fo Kann er fich dann die erworbene Fertigkeeit ja unter Umftßänden mutzbar für feine Ginnahme machen; fei es in der Hausfleiß oder Hausinduftrie-Richtung. Die Grziehung felbft foll und dart aber mit Geldberdienft nichts zu thun haben; fie befchritte damit einen neuen und meines Grachtens bedenklichen Weg.

In diefem Sinne werden Sie nachher die Knaben in den drei Richtungen thätig fehen; ihre Arbeiten befinden fich in der Gruppe II unferer Gewerbeund Induftrie-Ausftellung, der Sie hoffentlich auch Ihren Befuch fchenken werden.

Die feither für die Schule entftandenen Koften find diefe:

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Gelchällsjafir. Innenlarien. Handwerkszeuge. Kalerialien. Anterrichts-, Zoten. n. Ber. Wallungsßoffen.
1881 M 257,85 M 420,59 M 96,02 M 896,35
1882 M 523,64 M 48,96 M 111,87 M 1518,30
1883 M 218,45 M 25,29 M 171,16 M 1696,62
1884 M 642,54 M 26,15 M 167,88 M 1580,48
zuf M 1642,48 M 520,99 M 546,93 M 5691,75
ergiebt im Durchfchnitt: M 410,62 M 130,25 M 136,74 M 1422,94

Die für Inbentarien und Handwerkszeuge entftandenen Koften fetzen fich namentlich aus Reubefchaffungen zufammen, und find alfo zumeift einmalige. Die Koften für Reparaturen find gering. Die eigentlich laufenden Koften find die für Materialien, Unterrichts-, Botenund Berwaltungs-Ausgaben.

Die jetzt getroffene Ginrichtung unferer Schule kann man fich natürlich wefentlich erweitert denken; zunächft in Hinblick auf die Schülerzahl. Würden wir die noch freie Zeit an den bier anderen Schultagen, alfo am Montag, Dienftag, Donnerftag und Freitag bon 4½ bis 6½ Uhr mit befetzen können, fo konnte man die doppelte Schülerzahl in denfelben Werkftätten, alfo 200 Knaben befchäftigen. Dazu würden etwa 900 m mehr erforderlich fein, über welches Mehr wir zur Zeit im Berein allerdings nicht berfügen. Sine höhere Schülerzahl als 200 Knaben würde eine Werkftätte neben der Schule aber nicht befchäftigen können, man müßte in diefem Falle alfo eine zweite, dritte u. f. f. Werkftätte fchaffen.

Man kann fich auch eine Grweiterung der Schule in der Richtung der Altersclaffen denken, fo daß alfo auch fchon jüngere Knaben als zwölfjährige Befchäftigung erhielten. In diefem Falle müßten aber theiweife andere Lehrgegenftände und Modelle gewählt werden, die den Kräften und dem Alter der Knaben angemeffen wären. Auf diefe Weife kann man fich die Arbeitsfchule unmittelbar anfchließend an den Iröbel'-fchen Findergarten denken.

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Hiermit dürfte ich Ihnen fummarifch ein Bild bon unferer hiefigen Schule und deren ebentueller Weiterentwicklung geliefert haben, und komme jetzt zum zweiten Buncte meiner Ausführungen, nemlich Skizzirung des Weges, den Zeder befchreiten muß, um eine Handfertigkeitsfchule neben der Lernfchule an irgend einem Orte errichten könne. Ob man hierbei im Auge hat, den Arbeits-Unterricht nicht in einer Handfertigkeitsfchule fondern in dem fo fegensreich wirkenden Knabenhort einzuführen, ift für die nachfolgenden Ausführungen irrelebant, da es bei dem gegenwärtigen Stadium der Sache nur darauf ankommen kann, den Arbeits-Unterricht überhaupt an irgend einer Stelle Gingang zu berfchaffen. Bei der Handfertigkeitsfchule ift der Grundgedanke der rein erziehliche, bei den Knabenhorten die Befchäftigung. Um deswillen kann der Handfertigkeits-Unterricht in den Knabenhorten auch eine gewiffe Modification exfahren, nicht fowohl hinfichtlich der Unterrichtsmethode, auf die ich nachher zu fprechen komme, als hinfichtlich der Befchäftigungsarten. Man follte aber nicht das Berdienen hierbei derart in den Bordergrund ftellen, als dies in manchen Knabenhorten, oder wie man fie fonft auch nennt, in Befchäftigungs-Anftalten leider gefchieht.

Sch befpreche nur diejenigen Buncte die ich für wefentlich halte. In der Regel werden es zu Anfang nur wenige Berfonen, oft nur eine einzige fein, welche die Sache in einem Orte in die Hand nimmt. Diefe müffen zunächft das Berftändnis für die Beftrebungen an dem betreffenden Orte berbreiten; es muß die rechte Stimmung für diefelbe in der Bebölkerung gefchaffen werden. Dies ift nur durch Berbindung mit andern einflußreichen Berfonen und Körperfchaften zu erreichen. Rachdem zunächft ein ein engerer Kreis gewonnen ift, dienen zu dem genannten Ziele am beften Befprechungen in den Bereinen und in der Breffe. Ift der Boden dadurch entfprechend borbereitet, fo muß ein öffentlicher Bortrag über Bedeutung und Ziele des Handfertigkeits-Unterrichts mit darauf folgender allgemeiner Discuffion ftattfiuden. Auf diefem Wege allein klären fich dann die Anfichten, die anfänglich natürlich fehr auseinandergehen. Diefelben Ginwände kehren überall wieder. Die Borträge wirken am kräftigften, wenn fie durch eine Ausftellung bon Schülerarbeiten unterftützt find, und wären es auch nur wenige; denn dadurch gewinnt der Zuhörer am rafcheften den Eindruck, warum es fich im Endzweck han- page 88 delt. Diefe Mitführung und Ausftellung bon Schülerarbeiten hat freilich ihr misliches, weil einmal ein Iheil der Sachen unter dem Iransport, der Berpackung und der Ausftellung leidet, und weil fich dann ftets die übel Gewohnbeit der Berfammelten zeigt, jeden Gegenftand zu befallen und nach allen Richtungen hin zu befchauen. Zroß aller Ambahnungen bricht fich felten die Ueberzeugung bon der Schädlichkeit des Befaffens derart Bahn, daß dies unterbleibt. Dennoch ift dies eine Borbedingung bon Ausftellungen diefer Art, da wir niemals über fo biele Schülerarbeiten berfügen, um ftets neue zur Hand zu haben.

Das Centralcomite wird zur Erreichung bon Bortragskräften für diefen Zweck gern die Hand bieten; ich felbft bin, wie bisher, fo auch fernerhin im Intereffe der Sache bereit—foweit es meine Zeit erlaubt—ebentuell da Borträge zu halten, wo der Boden fchon entfprechend borbereitet ift, und wenn ich zugleich hoffen kann, daß fich in Folge meines Bortrages ein Centralpunct für die weitere Entwicklung in den Rachbar-diftricten bilden könnte.

Ift die rechte Stimmung borhanden, fo handelt es fich weiter um die Aufbringung der Mittel, und zwar in erfter Linie um die Mittel zur Ausbildung eines Lehrers. Diefe werden mohl da, wo die Stimmung günftig ift, bon Behörden und Einzelnen leicht zu erlangen fein, um fo mehr als fie einmalige find und keine fehr große Höhe erreichen. Die Mittel fetzen fich aus einem geringen Honorar und den Aufenthalts-und Reife-Koften zufammen. Derartige Unterrichts-Curfe finden in diefem Gommer in Leipzig ftatt, worüber Herr Oberlehrer Dr. Götze gewünfchten Falls in der folgenden Discuffion weitere Auskunft zu geben bereit fein würde; und im nächften Iahre borausfichtlich in Erfurt unter der Oberleitung des gleichfalls hier anwefenden Herrn Schulrath Dr. Borbrodt.

Die Befchaffung der auf Errichtung einer Schule hinzielenden Mittel find freilich fchwieriger zu errichen, indeß helfen Gifer, Unermüdlichkeit, und fchleißlich auch kluge Benutzung der Berhältniffe weiter. Hier gilt als Grundfatz, wie bei jedem gleichartigen Borgehen, daß ehe der größere Kreis herangezogen wird, ein engerer Kreis einflußreicher Freunde und Gönner bereits gewonnen fein muß.

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Ob die Stadt oder der Kreis oder fonft eine Behörde, oder auch ein fchon beftehender Berein die Errichtung einer Handfertigkeitsfchule in die Hand nehmen foll, oder ein für diefen Zweck erft zu bildender Berein, das hangt natürlich bon den rein localen Berhältniffen ab. Beim Borhandenfein unternehmungsbereiter Freunde empfiehlt es fich aber immer mehr, daß nicht die Behörden, fondern die freie Bereinsthätigkeit die Sache betreibt, alfo ein Gewerbe-Handwerkeroder pädagogifcher Berein, jedoch mit Unterftützung der Behörden. Das Eintreten der letzteren für fich allein wird oft bon den breiteren Schichten mit Mistrauen berfolgt; dann ift auch die Entwicklung der Sache fchwerfälliger, fchon weil mehrere Factoren mitfprechen und zu befchließen haben. Doch fprechen, wie ich wiederhole, die localen Berhältniffen hier in erfter Linie mit. Wird aber ein befonderer Berein gebildet, fo empfichlt fich auch hier, daß gubor ein engerer Kreis bon Freunden zufammentritt, und den Berein mit feinen neuen Statuten feft conftituirt. Ift dies gefchehen, fo erfolgt dann die Aufforderung zum Bereinsbeitritt in den öffentlichen Blättern. Sine Beitrittslifte kann dann auch mit Bortheil bei der Einwohnerfchaft circuliren. Die Bereinsbeitragshöhe überläßt man am beften dem freien Ermeffen der Beitretenden. Die Ginziehung der Beiträge erfolgt am bortheilhafteften bierteljährlich, da Iemand auch für ein ganzes oder ein halbes Iahr erfahrungsmäßig felten mehr zeichnet als für ein Bierteljahr. Immerhin aber ift, wenn dies nicht bei Allen zutreffen follte, der Ginzelne doch leichter zu gewinnen für einen Kleineren bierteljährlichen Beitrag, als für größere halboder ganzjährliche Beiträge.

In ähnlicher Weife Kann ein fchon beftehender Berein borgehen, indem er aus feiner Mitte mit anderen einfluß reichen Freunden der Sache eine befondere ftändige Commiffion bildet. Diefe Commiffion ift hier dann ganz daffelbe, was der anfängliche engere Kreis bei einem neu conftituirten, befondern Berein ift. Auf diefem Wege hat man gegenwärtig in Erfurt die Sache bon Seiten des dortigen Gewerbe-Bereins in die Hand genommen. Diefer Commiffion gehören dafelbft der Oberbürgermeifter Breslau, der Schulrath Borbrodt und andre einflußreiche Freunde der Sache an. Bei der Zufammenfetzung folcher ftändigen Commiffionen, bezw. Bereins-Borftände muß man thunlichft auch die politifchen und confeffionellen page 90 Gegenfätze bereinigen. Leider ift das nicht immer möglich, wie die Erfahrung gelehrt hat, namentlich hinfichtlich der politifchen Gegenfätze; immerhin muß man es aber berfuchen.

Sind die Mittel für die Ausrüftung der Schule befchafft, fo kommt es dann auf die Ausrüftung der Schule und die Befchaffung der Modelle an. Darüber wird aber der inzwifchen ausgebildete Lehrer die nothwendige Anleitung geben können, weshalb ich diefen Bunct nicht näher erörtere. Dann folgt endlich die Heranziehung der Schüler. Auch hier muß man in thunlichft praktifcher Weife berfahren. Wir haben es in Görlitz als am beften zum Ziele führend gefunden, wenn der Unterricht koftenfrei ertheilt wird, und wenn die obere Leitung der Schulen gebeten wird, in den einzelnen Claffen zur Betheiligung am Handfertigkeits-Unterricht aufzufordern. Dazu haben wir die Schulbehörden hier ftets bereit gefunden, und ebenfo meldeten fich immer noch weit mehr Schüler—faft biermal foniel—, als wir unterbringen konnten. Endlich müffen in der neugebildeten Schule felbft weitere Lehrkräfte herangebildet werden, damit das Beftehen derfelben nicht auf zwei oder bier Augen geftellt ift. Hier haben wir etwa 20 Lehrer ausgebildet. Mit diefen haben im erften Iahre bielfache Conferenzen ftattgefunden, um Shftem und Methode des Unterrichts zu befprechen. Dies in Berbindung fetzen mit den Lehrerkreifen hat z. B. hier bei uns den Bortheil gehabt, daß wir aus denfelben die wärmften Freunde und Fürfprecher gefunden haben. So ift es denn gekommen, daß wir in Görlitz eineu offen herborgetretenen Widerftand des Lehrerftandes nicht gefehen haben. Sie find im Gegentheil bon bornherein unfre beften Freunde gewefen.—Dies find etwa die praktifchen Rathfchläge, die ich aus der Erfahrung heraus zu geben bermag; fie werden aber nur dann, meine Herren, zum Ziele führen, wenn man fich durch Hinderniffe nicht irre machen läßt und bei der borgeftzten Arbeit felbft nicht erlahmt!

Ich komme zum dritten Buncte meines Bortrages, der pädagogifchen Methode des Unterrichts.

Ich beginne mit der allgemeinen Behandlung der Knaben. Die Arbeit, welche bon diefen beim Handfertigkeits-Unterricht zu leiften ift, unterfcheidet fich fehr wefentlich bon derjenigen auf dem rein geiftigen Gebiete des Lernens,—fie ift berhältnismäßig leichter. Alles ift für den Knaben page 91 hier anfchaulich; er berfteht die Anweifung des Lehrers daher auch leichter. Ift die Arbeit gut oder fchlecht ausgeführt, fo lehrt der Augenfchein fofort das Sine oder das Andere. Ueberall bewegt fich der Knabe daher auf einem ficheren, fein Selbftbertrauen weckenden Boden. Hierzu tritt, daß der Knabe folche Arbeiten gern ausführt, denn der Ihätigkeitsund Geftltungs-Irieb ift bon Ratur aus in ihm ein fehr reger und Hebendiger. Es ift alfo erklärlich, wenn der Knabe hier einen befonderen Gifer und eine herborragende Ihätigkeitsluft zeigt. Der Lehrer tritt feinerfeits auf diefem Gebiet deshalb auch in ein ganz anderes Berhältnis zum Schüler, als bei dem fonftigen Schulunterricht; er fteht nicht auf dem hohen Katheder und docirt bon oben herab, fondern er arbeitet überall mit; er zeigt dem Knaben durch die eigne Arbeit, durch das Bormachen, wie diefer die Sache anfaffen foll; er ftellt fich damit, wenn auch nicht auf gleiche Stute mit dem Schüler, fo doch menfchlich diefem näher. Die Erfahrung hat deshalb auch gelehrt, daß die Schüler ihren Handfertigkeitslehrern im allgemeinen eine weit größere Dankbarkeit bewahren als ihren übrigen Lehrern. Diefe Umftände find außerordentlich günftig zur Erreichung des Zweckes, das Zutrauen der Knaben zum Lehrer zu fördern; und das ift das erfte was ein tüchtiger Handfertigkeitslehrer gewinnen muß. Hat er dies Zutrauen, fo gewinnt der Lehrer bald auch einen größern Einfluß auf die übrige Ausbildung des Knaben und das ift bom pädagogifchen Gefichtspunct gewiß ein hoher und wefentlicher Factor der Gefammterziehung.

Dies Zutrauensberhältnis hat freilich auch feine Gefahren und Schattenfeiten, indem es dem natürlichen Uebermuth der Knaben Raum zur Entwicklung gewährt. Es ift daher für den Lehrer nothwendig, daß er im Hintergrunde den erforderlichen Ernft für die Sache durchblichken läßt, und daß er diefen gelegentlich, wenn nothwendig, auch zur Geltung bringt. Ift der Lehrer ein Bädagoge bon echtem Geift und Herzen, fo wird er den richtigen Web hier fehr bold felbft finden. Anlernen läßt fich diefer Iheil der Erziehung nicht; es fchlägt dies eben in das Gebiet der natürlichen pädagogifchen Beranlagung, die kein Unterricht, kein Geminar lehren kann, die aber eine der wefentlichften Borbedingungen für einen guten Handfertigkeitslehrer bildet. Mit page 92 diefer richtigen Erfaffung des Unterrichtszweiges werden fozufagen erft die nothwendige Wärme und Luft gefchaffen, in welche allein der Unterricht feine bollen Früchte tragen kann.

Rächftdem ift ein geordneter Lehrgang erforderlich. Er repräfentirt fich in guten und muftergiltigen Borlagen. Diefe Konnen etweder Zeichnungen oder Modelle fein. Die erfte Grundanforderung an diefelben ift ftufenmäßige Folge in Bezug auf Schwierigfeit der Herftellung. Die Stufen müffen nur foweit bon einander entfernt fein, daß auch eine mittelmäßige Kraft fie zu überfchreiten bermag. Gut beranlagte Knaben können nach Ueberwindung der Anfänge gewiffe Stufen überfpringen. Die Borlagen müffen ferner thunlichft einheitlich im Stile fein, jedenfalls aber auch ein Borbild für gute Formen geben; fie müffen endlich in ihrer Zufammenftellung zuerft rein bildend für die Fertifkeit fein, und dann entweder dem Schulunterricht dienen, oder fonft einem nützlichen Zwecke. Diefe letzteren auszufchließen, hieße den Reiz des Knaben an der Herftellung folcher Arbeiten herabmindern. Es ift dies nicht gleichbedeutend mit dem Utilitätsgedanken des Handfertigkeits-Unterrichts, denn hierbei geht man darauf aus, daß der Unterricht unmittelbar nutzbringend für den Knaben werden folle, was nicht, wie ich fchon fagte, der Zweck des erziehlichen Handfertigkeits-Unterrichts fein kann. Diefer muß bielmehr ftets die Berbollftändigung der formellen Bildung des Knaben bor Augen haben.

Godann handelt es fich bei der richtigen Methode 1. um das bolle geiftige Erfaffen des nachzubildenden Gegenftandes, 2. um die technifch richtige Ausführung, und 3. um eine gute und gediegene Arbeit.

Meine Herren, was den erften Bunct betrifft, das Gehen, das geiftige Erfaffen eines Körperlichen Gegenftands, die bolle Anfchauung dabon, das ift, wie ich glaube, ein fchwacher Bunct In Unfrer Heutigen Erziehung. Indem fie borwiegend den Geift ausbildet, indem die Schule heute, wie der Kaffeler Lehrertag bom Iahre 1882 allerdings treffend fagte, wirklich nur eine Werkftätte geiftiger Arbeit ift, ift der Blick des Kindes borwiegend auch immer den innern geiftigen Borgängen zugewendet. Wie kann fich da gleichzeitiz auch der Blick in die Außenwelt hinein entwickeln, wie die klare Borftellung bon einem körperlichen Gegenftande? Wie kann fich auf diefem innern Blick allein ein bolles geiftiges Heben aufbauen? Ift page 93 denn die finnliche Borftellung nicht die Bafts für alles höhere Denken? Sine gewiffe Unklarheit über die oft naheliegendften Dinge, eine Ginfeitigkeit, die den Charakter der Iheorie trägt, ein Zuftand, in welchem das Auge die Berhältniffe und die Umgebung nicht unmittelbar fieht, fondern immer nur durch das Medum des Denkens, wie erft durch eine Brille hindurch,—das find die fchwerwiegenden Rachtheile der heutigen Erziehungsweife. Diefe beborzugt den Geift fo fehr, und erziehtihndoch nur einfeitig. Wird aber auch der Blick in die Außenwelt hinein gebildet, fo erhält der Knabe eine bollere, klarere Anfchauung. Berbindet fich damit dann auch die Ihätigkeit, das Angefchaute und Bollerfaßte körperlich nachzubilden, fo erhält der Geift damit ein ganz anderes, bolleres, gefunders Gepräge.

Bei der Ausübung des Handfertigkeits-Unterrichts foll der Schüler alfo gunächft das Sehen lernen. Aus Diefem Grunde muß der Lehrer den Gegenftand, den der Schüler nachbilden foll, mit diefem derart befprechen, daß der Schüler den Gegen-ftand geiftig bollkommen erfaßt. Wie dies überhaupt auch zugleich in der Form des Claffen-Unterrichts hier gefchieht, werden Sie nachher felbft beobachten. Wie nothwendig ein folcher Hinweis des Schülers auf den Gegenftand ift, und wie oberflächlich demungeachtet er denfelben dann oft noch anfieht: das zu erkennen haben wir oftmals Gelegenheit gehabt. Es fehlt dem Knaben eben die Anleitung hiezu bis zum Eintritt in die Handfertigkeitsfchule. Der Handfertigkeits-Unterricht, in diefem Sinne ausgeführt, ift alfo zu gleicher Zeit ein Anfchauungs-Unterricht; er ift aber noch mehr, denn die Anfchauung bleibt nicht nur eine rein geiftige Ihätigkeit, fondern fie geft auch zur Ihat, zur Berkörperung des Angefchauten über. Daß eine gleiche Bildung fchon heute durch die Schule erjolge, ift gewiß nicht ganz richtig; ift auch die Hand fchon beim Schreiben und Zeichnen thätig, wird insbefondere im letzteren auch nach der Ratur, nach Körpern wenigftens zun Iheil gezeichnet, fo ift das doch zur Erreichung des erforderlichen Gegengewichts gegen die einfeitig geiftige Erziehung nicht hinreichend. Dem Handfertigkeits-Unterricht gegenüber trägt auch das Zeichnen gewiffermaßen noch ein theoretifches Gepräge; dies giebt den Gegenftand nach zwei Dimenfionen wieder, ftets nur mit dem Griffel und auf dem Bapier ausgeführt, die Handfertigkeit lehrt aber den Gegen- page 94 ftand nach drei Dimenfionen herftellen, und zwar in den berfchiedenften Materialien und unter Anwendung einer großen Anzahl bon Werkzeugen. Daß der Handfertigkeits-Unterricht daher allgemeiner und bielfeitiger wirkt, ift hiernach felbftberftändlich. Beide Richtungen, nemlich Zeichnen und Handfertigkeit dereinft aber in eine enge, ja organifche Berbindung zu bringen dürfte bielleicht das Ziel fein, das wir für fpäter anzuftreben haben, wenn der Handfertigkeits-Unterricht einmal zur Einführung in die Schule kommen follte.

Allein die Arbeit foll zweitens auch richtig ausgeführt werden. Dazu ift zunächft eine Unterweifung des Knaben nothwendig, wie er fchrittweife den Gegenftand herzuftellen habe. Dabei muß er dann ftetig überwacht werden, um zu beobachten, ob er den angegebenen Weg auch inne hält, oder ob er dabon millkürliche Abweichungen bornimmt; er thut dies leicht aus Unkenntnis oder aus Oberflächlichkeit und Unanfmerk-famkeit, ja theils auch um gewiffe Schwierigkeiten zu umgehen. Er foll aber nicht allein richtig, alfo nach Borfchrift, fondern auch technifch richtig arbeiten lernen, das heißt: das Werkzeug richtig handhaben und die Arbeit derart ausführen, wie dies der Fachmann felbft thun würde. Sine derartige Anleitung muß zweifellos zugleich eine gute Borfchule für das Handwerk und die Induftrie bilden. Aber auch diejenigen welche fich nicht dem gewerblichem Heben fpäter zuwenden, werden dann doch den Handwerker beffer beurtheilen können, als heute. Die oberflöchliche Arbeit, wenn fie außerhalb nur gut ausgeputzt ift, wird heute leider oft für eine folide Waare angefehen und gekauft.

Die Arbeit foll endlich aber auch eine gute fein. Ia, meine Herren, hier liegt faft der Schwerpunct der ganzen Sache, ja die Frucht des gefammten Handfertigkeits-Unterrichts, und nur wenn wir zugleich auch eine gute und gediegene Handarbeit erzielen oder doch mit Ernft anftreben, werden wir den bollen Rutzen erreichen, die wir bon dem Handfertigkeits-Unterricht erwarten. Darum follte jede Handfertigkeits-Schule zu ihrem Motto die Worte wählen:

Bor allem lerne dies:

Was du thuft, thu gut, thu ganz!

Ia, meine Herren, in dem guten, gediegenen Arbeiten, da liegt bor allem auch der Werth den der Handarbeits-Unterricht page 95 in fittlicher Hinficht hat, im Hinblick auf die Bildung des Charakters. Freilich muß man fich hier bon bornherein über den Begriff „gut“ klar werden, und nicht Anforderungen ftellen, die eben bon Kindern nicht erreicht werden können, befonders auch im Hinblick auf die berhältnismäßig kurze Zeit, welche diefelben für die Erlernung der Handfertigkeiten berwenden. Es kann fich alfo hier nur um die relatibe Güte handeln, nicht um die abfolute. Diefelbe ift eben erreicht, wenn der Gegenftand mit boller Aufmerkfamkeit, und fo gut, als dem Knaben dies indibiduell möglich war, hergeftellt ift. Und da wird ja auch Ziel auf die natürliche Beranlagung ankommen. Es befitzt bielleicht jemand eine fchlechte Handfchrift, aber man kann es ihr doch anfehen, ob diefelbe nur fo hingeworfen ift, gewiffermaßen im Fluge, oder ob der Knabe fich doch Mühe gegeben hat. Ganz daffelbe Berhältnis findet bei der Handorbeit ftatt. Hierauf alfo zu achten, den Knaben entfprechend anzuleiten, und ihn auf die einzelnen Mängel in der Ausführung hinzuweifen, erachte ich es als eine der wefentlichften Aufgaben eines guten Handfertigkeits-Unterrichts. Iede anders angefertigte Arbeit follte bernichtet werden, fchon um das Auge nicht zu berletzen und an einen folcheu Anblick zu gewöhnen.

Was du thuft, thu gut, thu ganz! Diefer Spruch, meine Herren, follte auch die Säule der gefammten Grziehung, der geiftigen, wie der fittlichen bilden. Er wird heute wohl gelehrt; er finder wohl feine Beachtung bei der Kritik der Arbeit; ich glaube aber, daß er doch in der Erziehung noch nicht diejenige Stelle einnimmt, die er berdient; daß man ihn noch nicht fo würdigt und boranftellt, wie man dies thun müßte. Die Urfache dabon liegt meines Grachtens zum Iheil darin, daß man auf dem rein geiftigen Gebiet nicht in der Lage ift, dem Knaben die Oberflächlichkeit, Gedankenlofigkeit, ja Lüderlichkeit gewiffermaßen greifbar nachweifen zu können. Wenn Sie es bei der Befprechung eines Auffatzes z. B. auch thun, der Knabe berfteht es nicht boll und ganz. Die Handarbeit giebt aber Gelegenheit, dies fichtbar, greifbar nachweifen zu können.

Der Grundfatz, daß man etwas ganz und gut thun folle, findet in der Handarbeit alfo feine leichtefte Anwendung. Sollte eine Anleitung auf diefem Felde nicht aber auf die geiftige Arbeit bortheilhaft zurückwirken? Sollte fie nicht ihren Ginfluß auch auf den Charakter wirklich ausüben? Das ift page 96 meinne fefte Ueberzeugung. In dem fittlichen Organismus hangt auch alles inig zufammen, wie in dem körperlichen. Ich kann es mir nicht deken, daßein Knabe, wenn er eine körperliche Arbeit gut und fauber ausführt, eine geiftige Arbeit oberflächlich oder lüderlich behadelin werde; daß er, wenn er bei jener Arbeit die Ordug, Bünctlichkeit und Gewiffenhaftigkeit übt, diefe Iugenden des Charakters anderswo außer Acht laffe werde. Ich fühle mich daher tief innerlich bon der Wahrheit deffen überzeugt, daß die gute Hanndarbeit Ordnung in die ganze Lebensrichtunng bringe, alfo auch eien hogen Ginfluß auf die Entwicklung des Charakters ausübe. Ift dies aber der Fall; bilder der Hadfertigkeits-Unterricht alfo nicht nur Hand und Auge, nicht nur den Schönheits-und praktifchen Sinn; giebt er nicht nur dem Geift einn bolleres und natürlichers Gepräge, bildet er icht ur ein Gegengewicht gegen die einfeitige, geiftige Ausbildung, fondernn bildet er auch den Charakter, den fittlichen Willen: fo ift der Hadfertigkeits-Unnterricht dan auch ein integrirender Beftadtheil der Grziehung; fo ift er nothwendig auch eie Schul-Disciplin, ja meine Herren, eine wichtige Schul-Disciplin. Er ift eine Erweiterugn der formellen Bildung und füllt zahlreiche Lücken aus, welche der heutige Schulunterricht gänzlich brach liegen läßt.—Bon all diefen Gefichtspuncten muß die rechte Methode des Handfertigkeits-Unterrichts ausgehe, wenn fie darauf Anfpruch erheben will, boll erzieherifch auf denn Knaben einzuwirken.

Wenn Sie, meine Herre, die Methode des Handfertigkeits-Unterrichts bon diefem Gefichtspunct aus betrachte, fo kann die principielle Erörterung der Frage keien Schwierig-keiten bereiten, ob Lehrer oder Handwerksmeifter denn Unterricht ertheilenn follen? Beide find nothwendig: der eine, um die Indibidualität des Knaben und überhaupt feine ganze innere Ratur richtig zu erfaffen und zu leiten; der andere, um eine technifch richtige und gute Arbeit zu erzielen. Da aber nur einer den Unnterricht ertheilen kann, fo tritt die Rothwendigkeit hera, daß der Handwerksmeifter fich entweder das pädagogifche Gefchick aneigne oder daß der Lehrer die nothwendige manuelle Fertigkeit erlerne. Was ift leichter? Die Beantwortung diefer Frage entfcheidet allein über das Brincip. Zweifellos ift das letztere leichter, um fo mehr als es fich ja icht um eine Fertigkeit handelt, page 97 die für eine hadwerksmäßigen Betrieb nothwendig ift, fondern nur um eine elementare.

Darum halte ich denn Lehrer im Brincip als geboten für den Handfertigkeits-Unterricht. Es läßt fich nicht berkennen, daß manncher Hadwerksmeifter, der eine natürliche Lehragabe befitzt, gewiß auch den Unterricht ertheilen kann, und die Erfahrung hat ja hinreichend gelehrt, daß wir folche Hand-werksmeifter befitzen,—ich erachte dies immer nur als Ausnahmelfall. Fernerhin kann ich auf der adern Seite trotzdem nicht den Handwertsmeifter beim Unterricht ganz ettbehren; wir werden ihn bielmehr als technifchen Beirath mit großem Rutzen berwenden können, ja müffen, damit wir der Gefahr und Klippe borbeuge, daß der Handfertigkeits-Unterricht fich in eier Weife entwickelt, die in ihrer Ausführung fich bon dem technifch richtigen und guten etfert. Dies würde und müßte us auch die Hadwerker zu Gegnern und zwar zu berchtigten Gegnern machen. Das kann aber um fo weniger unfere Abficht fein, als wir unter andern die Arbeitsfchule auch als eine Borftufe für ein beffer durchgebildetes Handwerkerthum erachte. Ich muß meinerfeits weigftes dies Ziel aufrecht erhalten, wenn es, im Hindblick auf den rein erziehlichen Zweck des Arbeits-Unterrichts, auch ur als ein Rebeziel erfcheint.

So machen wir es hier bei uns, d. h. der Hadwerks-meifter wirkt als technifcher Beirath, indem er fich bon Zeit zu Zeit bon der richtigen und guten Ausführung der Arbeiten überzeugt, und indem er andrerfeits dem Lehrer wieder als Rathgeber zur Seite fteht.

Ich faffe meine Ausführungen hiernach in folgende beide Thefen zufammen, um deren Annahme ich denn Conngreß bitte:

I.Bei dem gegenwärtigen Stadium des Hadfertigkeits-Unnterrichts ift die Errichtung bon thunlichft bielen Arbeitsfchulen neben der Lernfchule, lfo auf facultatiber Grundlage geboten. Die Methode des Unterrichts muß mit den pädagogifchen Grundfätzen im Einklang ftehen und die Erweiterung der formellen Bildung des Kaben zum Ziele haben.
II.Der Unterricht ift im Brincip bom Lehrer zu ertheilen, welchem ideß tüchtige Hand- page 98 werksmeifter als technifche Beiräthe zur Seite zu ftellen find.

Meine Herren, wenn Sie heimkehren in Stadt und Land,—legenn Sie Hand ans Werk! Helfen Sie uns in unfern Beftrebungen dadurch, daß auch Sie fich mit auf de Boden der werkthätigen Arbeit ftellen; laffen Sie dem Gedanken die That folgen, die allein ja den Ausdruck gibt für das Ernftgewollte. Laffen Sie die Saat, die der heutige Cogreß ausgeftreut hat, zu fchöner Blüthe und Frucht auch in Ihrer Heimat gedeihen. Es gilt, fo unfcheinbar die Sache auch äußerlich fich annfieht, hier doch un die Mitarbeit an einer großenn Erziehunngs-Idee, die um ihres rein mefchlichen und nationalen Zieles willen auch Befriedigung gewährt in unfrer eigenen Bruft. Möchte unfre gemeinfame Arbeit aber, die nur dem Triebe entfpringt, Menfchenglück und Bolkswohl zu fördern, reiche Früchte trage, und zum Wohle des deutfchen Bolkes, ja zum Wohle der Mnfchheit gefegnet fein!

Borfitzender Professor Biederman: Ich eröffne die Discuffion, ud ertheile das Wort dem Herrn Hauptlehrer Olm.

Hauptlehrer Olm-Botsdam: Meien Herren! Ich will zunächft meiner Freude Ausdruck geben, daß der Herr Borredner auch der Einrichtung des Iugendhorts Erwähnung gethan hat. Ich gehöre einer Commiffion an, die dafür zu forgen hat die Kinder zu befchäftigen, udn habe dabei die Erfahrung gemacht, daß die Kinder nicht genug befchäftigt werden könen; denn die Spielluft und der Thätigkeitstrieb der Kinder fiud ungemein groß. Sie find bon 2—7 Uhr Rachmittages auf dem Schulhof berfammelt und folle, nachdem fie ihre Schularbeiten angefertigt, anderweitig befchäftigt werden. Der Lehrer ift aber nicht in der Lage fortwährend die Kinder zu unterhalte, und es fehlt dann wirklich an einer geeigneten Befchäftigung. Ich halte daher den Handfertigkeits-Unterricht als ganz geeignet für Knabenhort-Aftalten. Die Einrichtung der Knabenhorte ift überhaupt eine fegesreiche. Es find fo biele Kider, die inn der fchulfreien Zeit fich felbft überlaffen fid, und fo zu allerlei Rohheiten auf der Straße Gelegenheit finden. Wir find daher in meiner Heimatsftadt zufammengetreten, um diefe ohne Beauffichtigung und ohne korperliche Bflege aufwachfenden, auf der Straße fich umhertreibenden Kinder in irgend einer Weife zu befchäftigen, und habe zunächft mit einer geringen Azahl bon Schülern page 99 angefagen. Die Zahl der Aumeldungen hat fich jedoch fo gemehrt, daß wir fchon leider eine ablehnende Braris haben befolgen müffen, weil wir nicht alle Kinder aufnehmen konnten. Ietzt geht man daran, eine zweite Anftalt zu errichten. Da hierzu aber bedeutende Ausgaben nothwendig find, hat man fich an die hohen Herrfchaften gewandt, und gu gedachtem Zweckle 1200 Mark zufammengebracht. Ich bin der Anficht, daß die Einführung des Handarbeits-Unterrichts in Knabenhorten fehr fegensreich fein muß. München hat bereits derartige Einrichtungen. Uns fehlt es noch immer an einer geeigneten Kraft zur Ertheilung des Unterrichts, und wir haben daher befchloffen, einen Lehrer hierzu ausbilden zu laffen. Und dann, glaube ich, wird durch eine derartige Einrichtung eine organifche Berbindung der Schule und des Haufes herbeigeführt, die Kinder werden zu einem regelmäigen Schulbefuch beranlaßt und wir werden durch die Kinder auch auf die Eltern einwirken können. Ich halte den Handfertigkeits-Unterricht ganz geeignet für Knabenhorte, und ich habe mich gefreut, daß diefe Meinung auch bon fo bedeutenden Männern ausgefprochen worden ift.

Landtags-Abgeordneter b. Schenckendorff-Görlitz: Die Frage der Knabenhorte ift auf dem borjährigen Osnabrücker Handfertigkeitstag ein herborragender Berathungsgegeftand gewefen, womit der Rachweis geführt ift, daß die Knabenhorte im Rahmen unferer Ziele liegen. Diefelben treffen fich fämmtlich in dem Begriffe der Erziehung zur Arbeit. Auch wenn es uns längft gelungen fein wird, dem Arbeitsunterricht eine Stelle im Schulorganismus berfchafft zu haben, werden die Knabenhorte nicht überflüffig fein, denn der leidige Umftand daß die Kinder außerhalb der Schulzeit in Folge der Befchäftigung der Eltern bielfach ohne Aufficht find, wird auch dann noch fortdauern. Die Kinder daher dann zu befchäftigen und in nützlichen Dingen zu befchäftigen, die fie für ihr Heben einmal brauchen können, wird immer ein Segen für fie fein, und nichts gerings dazu beitragen, der focialen Berwilderung entgegenzuarbeiten. Möchten neben den Handfertigkeits-fchulen daher auch die Knabenhorte zahlreich im Lande erwachfen und aufblühen; fie werden für jeden Einfichtigen eine Stätte fein, die der beften Unterftützung würdig ift, weil fie nur pofitibe Maßregelen bilden, der Berkümmerung und Entartung der menfchlichen Ratur borzubeugen.

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Borfitzender Professor Biedermann: Es hat fich Riemand weiter zum Wort gemeldet, auch hat Riemand die bon dem Herren Referenten borgefchlagenen Thefen angefochten, ich nehme alfo an, daß der Congreß diefelben angenommen hat.

Es find noch einige fefchäftliche Angelegenheiten abzumachen. Das Centralcomite hat fich nach dem in Osnabrück boriges Iahr gefaßten Befchluß zu einen Drittel erneuert. Die Romen der ausgeloften Herren find folgende:

  • Professor Dr. Biedermann in Leipzig,
  • Professor Dr. Birch-Hirfhfeld in Leipzig,
  • Bürgermeifter Dahfe in Güftrow,
  • Oberbürgermeifter Fürbringer in Emden,
  • Museums-Director Grunow in Berlin,
  • Schul-Director Kunath in Dresden,
  • A. Lammers in Bremen,
  • Schul-Director Michelfen in Hildesheim,
  • Professor Dr. Grasmus Schwab in Wien,
  • Oberbürgermeifter Gelke in Rönigsberg;
  • dabon wiedergewählt die Herren
  • Biedermann,
  • Birch-Hirfchfeld,
  • Grunow,
  • Kunath,
  • Lammers,—
  • und zugewählt die Herren
  • Oberbürgermeifter Breslan in Erfurt,
  • Gewerberath Frief in Breslau,
  • Th. Klunzinger in Stuttgart,
  • Stadtfchulrath Krähe in Halle,
  • Geh. Sanitätsrath Dr. Krifteller in Berlin,
  • Commiffionsrath Benno Milch in Breslau,
  • Seminar-Director Dr. Bohle in Dresden,
  • Oberbürgermeifter Rrufcher in Brandenburg,
  • Professor Dr. G. Schuller in Hermanftadt,
  • Bürgerfchul-Director Urban in Wien,
  • Professor Dr. Weicker in Zwickau.

Bon ihnen hat nur Herr Dr. Bohle für jetzt wegen überhäufter anderer Befchäftigung die Wahl ausgefchlagen.

A. Lammers: Wir haben in letzter Zeit einen warmen Freund unferer Beftrebungen durch den Tod berloren, deffen page 101 ich hier gedenken möchte, den Hofrath bon Eitelberger in Wien, Schöpfer des dortigen großen Kunft-Gewerbe-Mufeums. Er befaß ein lebhaftes Intereffe an der Thätigkeit unferer Bereinignng, ift aber leider, ehe er felbft für die Sache wirkfam fein konnte, heimgegangen. Wir werden uns feiner ftets berehrungsboll erinnern.

Borfitzender: Laffen Sie uns hoffen, meine Herren, daß durch den heutigen Congreß auch nach allen Theilen Deutfchlands hin die fchönen Wurzeln und Keime unferer Beftrebungen weiter berpflanzt werden, und thun Sie dafür Zeder an feinem Theile was Sie thun können! Mit diefem Bunfche fchließe ich hier die Berfammlung, und bitte die Herren nunmehr Herrn bon Schenckendorff zum Schullocal folgen zu wollen.

Während der Borführung der Lehrproben lief bon dem Cultus-Minifter Herrn bon Goßler folgendes Telegramm an Herrn bon Schenckendorff ein:

Berlin. Die Theilnehmer an dem Congreß für Handfertigkeits-Unterricht begrüße ich mit den lebhafteften Wünfchen für den gedeichlichen Fortgang ihrer Arbeiten.

b. Goßler.

Die Berfammelten nahmen die Berlefung des Telegramms mit einem allfeitigen lebhaften Brabo auf. Möchte diefer bon fo berufener Seite dem Congreß noch gugefendete Wunfch ein gutes Borzeichen für das weitere Gelingen diefer Beftrebungen fein.